Überall Polizei, nirgendwo Sicherheit

Kritik der Polizei – Ende Gelände 2022

Vorab

Die Polizei ist allgegenwärtig, als Institution aber auch internalisiert in unserem Denken und Praktiken. Doch die Polizei schafft keine Sicherheit.
Dieser Text kritisierte die Polizei und polizeiliches Denken fundamental und zeigt was das praktisch für unsere Aktionen bedeutet und wie Alternativen aussehen können.

Bei Aktionen ist die Polizei nicht notwendigerweise direkter Adressat der Aktion. Wenn es gut läuft ist sie überflüssiges Beiwerk, wenn es schlechter läuft Quelle von Repression, Gewalt und Trauma.
Aber auch im sonstigen Alltag erleben wir die Polizei als Teil eines Problems. Sie reproduziert eine von Diskriminierung durchzogene Gesellschaft und nutzt ihre Machtpostion um sich selbst und die ausbeuterischen, rassistischen und diskriminierenden Strukturen zu manifestieren und zu verteidigen.

Für uns ist es klar, dass die Polizei keine Sicherheit darstellt sondern vielmehr Klassismus, Rassismus und Sexismus verfestigt und weiter fortschreibt. Die Polizei steht dem guten Leben für alle im Weg. Sie ist nicht reformierbar und muss überwunden werden.

Dabei geht es nicht nur um das reine Abschaffen sondern ein neues Denken von Sicherheit und um gerechte Strukturen die uns wirklich sicher machen. Unsere Kritik der Polizei ist eingebettet in eine fundamentale Staatskritik. Und mit unserem Ziel der Abschaffung der Polizei geht ein neues Denken über eine umfassende Sicherheit für alle Hand in Hand.

Dieser Text richtet sich an Menschen, die sich für eine polizeikritische Haltung verschiedene Denkanstöße wünschen oder die diesen Text für weitere Reflexion nutzen wollen. Und er richtet sich an Aktivist*innen die den Umgang mit der Polizei bei Aktionen reflektieren wollen.

Den folgenden Text (ohne diese Vorbemerkung) gibt es auch als PDF zum Ausdrucken und bequemeren Lesen.

1. Einleitung

Die Polizei ist allgegenwärtig, als Institution aber auch internalisiert in unserem Denken und Praktiken. Doch die Polizei schafft keine Sicherheit. Diese Erzählung von „Sicherheit durch Polizei und Repression“ kann genauso auf den Müllhaufen wie die Mär von den ständigen Einzelfällen.
Dieser Text kritisierte die Polizei und polizeiliches Denken fundamental und zeigt was das praktisch für unsere Aktionen bedeutet und wie Alternativen aussehen können.

Für eine Kritik der Polizei ist es notwendig, dass zentrale Fragen in den Blick genommen werden: „Was macht uns wirklich sicher?“, „Wie kann umfassende Gerechtigkeit praktiziert werden?“ und „Und wie erreichen wir das gute Leben für alle?“ Dieser Text arbeitet heraus, dass der Zweck der Polizei nicht in der Beantwortung dieser Fragen liegt. Die Polizei als herrschaftssichernde Institution ist weder an einem System Change interessiert und verhindert eine progressive Veränderung. Sie steht dem Guten Leben für alle aktiv im Weg. Daher braucht es für eine emanzipatorische und herrschaftsfreie Welt die Überwindung der Polizei.

Aber worauf basiert unsere fundamental ablehnende Haltung gegenüber der Polizei?
Zugegeben, eine ablehnende Haltung gegenüber Polizei ist in der radikalen Linken und zum Teilen in der Klimabewegung ein identitätsstiftendes Element. Das ist auch solange ok, wie sich diese Ablehnung auch durch Erfahrung oder Wissen begründen lässt. Bei Aktionen ist die Polizei nicht notwendigerweise direkter Adressat der Aktion. Wenn es gut läuft ist sie überflüssiges Beiwerk, wenn es schlechter läuft Quelle von Repression, Gewalt und Trauma.
Aber auch im sonstigen Alltag erleben wir die Polizei als Teil eines Problems. Sie reproduziert eine von Diskriminierung durchzogene Gesellschaft und nutzt ihre Machtpostion um sich selbst und die ausbeuterischen, rassistischen und diskriminierenden Strukturen zu manifestieren und zu verteidigen.
Ohne Frage ist die Polizei nicht das einzige Problem in einer Gesellschaft die zentral kapitalistisch, rassistisch und sexistisch aufgebaut ist. Die besondere Machtposition der Polizei bedingt unsere besondere Kritik an ihr. Denn sie steht nicht nur der herrschaftsfreien Zukunft im Wege, sie ist hier und jetzt Quelle für Unsicherheit und Ungerechtigkeit.
Marginalisierte Gruppen beantworten dies mit dem prägnanten Slogan ‚Ihr seid keine Sicherheit‘. Und auch wenn sich dieser Text primär auf die Polizei bezieht, so sind andere Repressionsorgane (Behörden, Gerichte etc.) da definitiv mitgemeint.

Aus unserer Sicht ist die Polizei nicht reformierbar. Verbesserungen sind möglich und für konkrete Fälle auch hilfreich. Doch werden diese Verbesserungen das strukturelle Problem der Polizei nicht lösen können. In unsere alltäglichen und aktivistischen Praxis bedarf es Strategien, wie wir Sicherheit in unseren Communities organisieren können, jenseits von Polizei. Und weil die Polizei nicht nur keine Sicherheit ist, sondern Quelle von Gefahren, bedarf es Strategien sich vor diesen Gefahren zu schützen. Auf diesem Weg zu einer herrschaftsfreien Gesellschaft sehen wir die Notwendigkeit von Ansätzen wie „Defund the Police“ (= der Polizei finanzielle Mittel entziehen und damit mehr und mehr entmachten). Unsere Zielsetzung ist und wird eine klares „Abolish the Police“, also das Abschaffen der Polizei sein. Dabei geht es nicht nur um das reine Abschaffen sondern ein neues Denken von Sicherheit und um gerechte Strukturen die uns wirklich sicher machen. Unsere Kritik der Polizei ist eingebettet in eine fundamentale Staatskritik. Und mit unserem Ziel der Abschaffung der Polizei geht ein neues Denken über eine umfassende Sicherheit für alle Hand in Hand.

Dieser Text richtet sich an Menschen, die sich für eine polizeikritische Haltung verschiedene Denkanstöße wünschen oder die diesen Text für weitere Reflexion nutzen wollen. Und er richtet sich an Aktivist*innen die den Umgang mit der Polizei bei Aktionen reflektieren wollen.
Dabei blicken wir in Kapitel 2 auf die Geschichte und Funktion der Polizei und in Kapitel 3 auf die Gefahr die von der Polizei ausgeht. In Kapitel 4, 5 und 6 blicken wir im Konkreten auf den Zusammenhang von Polizei und Kapitalismus, Rassismus und Sexismus. In Kapitel 7 gehen wir der Frage nach, ob die Polizei reformierbar ist. Auf Alternativen zur Polizei blicken wir im Kapitel 8 und reflektieren in Kapitel 9 was unsere Polizeikritik konkret für Aktionen bedeutet.

2. Geschichte und Funktion der Polizei (1)

Ein Blick auf die Geschichte der Polizei ist aus zwei Gründen hilfreich: Zum einen verstehen wir so, aus welchen Beweggründen diese eingeführt wurde und was sich bis heute da fortschreibt und zum anderen ist es eine wichtige Erkenntnis, dass die Polizei nicht schon immer da war sondern ein geschichtliches Produkt und demnach auch überwunden werden kann.

Die Polizei, wie wir sie heute kennen, ist historisch eine relativ junge Erscheinung, sie entstand in Europa und den USA innerhalb der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und hat sich in unterschiedlichen Nationalstaaten zum Teil unterschiedlich entwickelt. In den USA ist die Polizei vor allem aus der Slave Patrol (Overseer->Officer) entstanden, in Europa hat sie sich aus dem Militär herausgebildet und das insbesondere zur Aufstandsbekämpfung. So waren die Freikorps im deutschen Reich sowie während der Weimarer Republik paramilitärische Gruppen die der Polizei vorausgingen. Deutsche Polizisten waren auch mitverantwortlich für das gewalttätige Niederschlagen und den Völkermord an den aufständischen Herero und Nama im heutigen Namibia, und mit Truppen anderer europäischer Mächte an der brutalen Unterdrückung des antikolonialen „Boxeraufstandes“ in China beteiligt. Auch die Bekämpfung und Ermordung sogenannter „Reichsfeinde“ vor und das gewaltvolle Vorgehen gegen Arbeiter*innenbewegung nach dem ersten Weltkrieg gehören zur Geschichte von Polizei und Freikorps.
Die „Ordnungspolizei“ war dann maßgeblich beteiligt an der Vernichtung von jüdischen Menschen während der Shoa. Auch die Ermordung von anderen, als „minderwertig“ klassifizierten Menschen wurde bürokratisch und effizient von Beamt*innen mit und ohne Uniform durchgeführt. Nach Ende des zweiten Weltkriegs sind diese Täter, oft mit Begründung des Fachkräftemangels, weiter in den Polizeien der Bundesländer tätig geblieben. Übrig blieb ein Ordnungsstreben, nach Einheitlichkeit in der Gesellschaft und Kultur, Traditionsbewusstsein, Befehlstreue gegen jeden Verstand und anderes autoritäres, rechtes Gedankengut.

Vorläufer der Polizei sahen ihre Aufgaben viel mehr in der Kontrolle von Wirtschaftsabläufen und damit auch ein Eingreifen in diese neben der Durchsetzung von Arbeitszwangs, dem Verbot von Landstreicherei und der Unterdrückung von Aufständen.
Mit dem aufkommenden liberalen Denken, dass der Staat sich nicht in die Wirtschaftsgeschehnisse einmischen sollte kam der Polizei vor allem die Aufgabe zu, Privateigentum und eine von Be- oder Einschränkungen freie Ökonomie zu schützen. Die Polizei war nicht mehr zuständig für die Festsetzung der Brotpreise sondern nur noch für die Verhinderung des Brotdiebstahls. Demnach war und ist die zentrale Aufgabe die Sicherung der Rahmenbedingungen der kapitalistischen Ökonomie und nicht der Eingriff in Wirtschaftskreisläufe. Neben der Bekämpfung von Sozialen Unruhen kümmerte sich die Polizei von nun an auch um die Verfolgung individueller Straftaten.

Heute ist die Polizei eine Institution (von bezahlten Beamt*innen), die das staatliche Gewaltmonopol durchsetzen soll und die Bekämpfung von Kriminalität übernehmen soll. In der Theorie der Gewaltenteilung ist die Polizei lediglich die vollziehende Gewalt.
Dieser Theorie nach zwingt sich die Gesellschaft durch die Polizei sich selbst an die Gesetze zu halten, wobei die Gewalt weiterhin von der Gesellschaft ausgehen sollte. Warum die Polizei sich über die Gewaltenteilung hinwegsetzt und die Gesellschaft vor der Polizei beschützt werden muss steht in Kapitel 3.
Die Funktion der Polizei ist es, die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ zu gewährleisten und wiederherzustellen. In einer kapitalistischen, rassistischen und patriarchalen Klassengesellschaft, wie in Deutschland, heißt das, genau diese bestehenden Machtverhältnisse zugunsten der Privilegierten und Mächtigen zu schützen und die bestehende Ordnung aufrechtzuerhalten. Das heißt: Schutz des Staates, des Kapitalismus und des Eigentums. Das Sanktionieren von kriminalisierten Handlungen ist ein zentrales Mittel, das der Aufrechterhaltung der Ordnung dient.

Die Polizei hat per Funktion aber auch aus sich selbst heraus kein Interesse an einem progressiven Systemchange hin zu einer befreiten Gesellschaft, weil jene eben die Polizei aus sich selbst heraus überflüssig machen würde.

Quellen:
Agamben, G., 2008: Die Sprache und der Tod – Ein Seminar über den Ort der Negativität
Deutschlandfunk, 2021: Interview mit Ulrike Timm, Legende vom „sauberen Ordnungspolizisten“ im NS-Staat – https://www.deutschlandfunkkultur.de/legende-vom-sauberen-ordnungspolizisten-im-ns-staat-100.html
Goldhagen, D., 1996: Hitler’s Willing Executioners: Ordinary Germans and the Holocaust
Mauch, J.-H., 1982: Nationalistische Wehrorganisationen in der Weimarer Republik : zur Entwicklung und Ideologie des „Paramilitarismus“

3. Polizei als Gefahr

Der Dominanzgesellschaft versucht sich die Polizei als Freund und Helfer zu verkaufen und die Dominanzgesellschaft legitimiert die Polizei in ihrer unterdrückenden Funktion. Die Repression der Polizei gegenüber abweichendem Verhalten und gegenüber marginalisierten Gruppen wird von der Dominanzgesellschaft als „Recht und Ordnung“ interpretiert.
Dieses Konstrukt funktioniert aber nur, wenn Sicherheit auf Kosten anderer verstanden wird. Für uns gibt es aber Sicherheit genauso wie das Gute Leben nur für alle oder gar nicht. Auch deshalb ist es wichtig mit der vorherrschenden Erzählung zu brechen und die Polizei als das zu Benennen was sie ist: Sie steht einer progressiven Zukunft im Wege, sie ist eine Gefahr für bestimmte Menschen, sie steht der Demokratie im Wege und ist damit eine Gefahr für uns alle.

Gefahr für die Gesellschaft

Die Polizei ist eine strukturelle Gefahr für die Gesellschaft. Wenn die Gewaltenteilung vorgibt, dass die Polizei rein ausführende Kraft wäre, so ist das ein billiger Trick die Polizei als unpolitischen Akteur zu inszenieren. Der Zweck von Polizeigewalt ist keineswegs stets mit dem Recht identisch und auch auch nicht per se mit dem Recht verbunden. Die Liste der Beispiele, wo das Zweck des Rechts und der Zweck bzw. das Handeln der Polizei auseinanderfallen ist lang und Polizeifunktionäre und Polizei“gewerkschaften“ verfolgen ein (fast immer rechtes) politisches Programm.
Die Polizei ist ein politischer Akteur und als solchen kritisieren wir die Polizei, sie ist weder neutral noch unfehlbar. Die besondere Gefahr liegt eben darin, dass dieser politische Akteur mit besonderen Befugnissen wie die Anwendung von Gewalt ausgestattet ist. Staaten haben kein Interesse oder scheitern daran, diese Macht einzuhegen und gleichzeitig drängt die Polizei darauf hin, ihren Ermessensspielraum zu erweitern. Somit wird die Gefahr durch die Polizei immer größer.
Gesetze und Verordnungen geben vor vieles zu regeln, das diese klassistisch, rassistisch und patriarchal ausgestaltet sind steht außer Frage. Doch in der Polizei kommt zusätzlich zum Tragen, dass sie immer in einer Grauzone zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem arbeitet. Weil nicht alles im Vorhinein geregelt werden kann muss sie situativ entscheiden und gestaltet durch diese Entscheidungen das soziale Gefüge aktiv mit. So ist es die Polizei, die maßgeblich zB. rassistische Bilder zu manifestieren. (Die rassistische Erzählung „Shisha Bars“ seien ein besonderes Problem wird dadurch „bestätigt“ dass die Polizei dort Razzien durchführt, ihr handeln als Erfolg verkaufen muss, weil es sonst eine ungerechtfertigter Eingriff war und gleichzeitig die Dominanzgesellschaft denkt, dass „Shisha Bars“ ein besonderes Problem seien, weil die Polizei da so oft Razzien durchführt.)

Wenn in einer Gesellschaft alle Zugang zur Mitbestimmung haben sollen, so ist die Polizei ein zentrales Hindernis dafür. Eben weil sie für marginalisierte Gruppen Quelle von Angst und Schrecken ist, hindert sie diese an einer freien Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen und diskreditiert deren Bedürfnisse durch die polizeiliche Praxis. Der Ausnahmezustand ist wichtigstes Element der Strategie der Polizei. Doch nicht nur zeitlich inszeniert die Polizei diesen Ausnahmezustand sondern auch räumlich indem Gebiete von marginalisierten Gruppen als „gefährliche Orte“ markiert werden und die dort lebenden Menschen besonders häufig durch die Polizei schikaniert und unterdrückt werden. Gesellschaftlicher Zugang und Teilhabe werden so verhindert. Für den gesellschaftlichen oder demokratischen Willen ist die Polizei immer ein Risiko.

Gefahr für die Selbstbestimmung

Neben dem äußeren Zwang und Gewaltanwendung greift die Polizei auch aktiv aber weniger offensichtlich in soziale Gefüge und die Selbstbestimmung ein. Sie prägt, wie sich Menschen in der Welt bewegen und das auf psychischer wie physischer Ebene. Sobald jemensch von der Polizei aktiv angesprochen wird, drückt sich darin das Machtverhältnis aus. Denn maßgeblich hängt diese Interaktion davon ab, als was die Polizei die Person adressiert: Als Teil der zu schützenden Dominanzgesellschaft oder als Fremdkörper, als Gefahrenquelle oder als Feind. Die Polizei greift hier aktiv in die Selbstbestimmung ein und produziert so ganz bestimmte Subjektivität. Racial Profiling ist im Kern genau diese Subjektivierung, hier verstärken und legitimieren sich institutioneller, struktureller und Alltags- Rassismus gegenseitig. Bei Kategorien wie Gender verhält es sich ähnlich.
Dadurch, dass die Polizei Räume als „Gefahrengebiet”, „kriminalitätsbelastete” oder „gefährliche Orte” bezeichnet schafft und formt sie soziale Räume mit handfesten Auswirkungen auf dort lebende Menschen. Die Definitionsmacht über solche Bezeichnungen hat allein die Polizei und schafft sich so besondere Befugnisse.Sie kann ohne konkrete Begründung körperlich noch näher kommen als anderswo erlaubt: Kontrollen, Durchsuchungen, erhöhte Polizeipräsenz welche diese Kontrollen und Durchsuchungen noch wahrscheinlicher macht. Bahnhöfe, Stadtteile und öffentliche Plätze werden zu Orten, an denen BIPoC massenhaft kontrolliert werden. „Diese Polizeipraxis ist für die Betroffenen zumeist sehr demütigend, da sie in der Öffentlichkeit stattfindet und gerade dadurch noch einmal rassistische Bilder reproduziert, insbesondere da die Polizei diese Kontrollen oft auch sehr öffentlichkeitswirksam inszeniert. Bei Passant*innen und Zuschauer*innen hinterlässt dies das Bild des „kriminellen Ausländers“, der ja nicht zu Unrecht von der Polizei kontrolliert würde. Wenig beachtet wird aber, was es mit dem Sicherheitsgefühl der Betroffenen macht, also insbesondere mit ihrem Vertrauen in die Polizei und ihrer Sicherheit, sich an bestimmten Orten aufhalten zu können. In Berlin trauen sich nicht wenige Menschen aufgrund der demütigenden und teilweise traumatisierenden Erfahrungen nicht mehr, Orte wie den Görlitzer Park, den Alexanderplatz oder das Kottbusser Tor aufzusuchen.” (Sarbo, 2020, „Wie polizeiliches Racial Profiling Rassismus anheizt“).
Der Dominanzgesellschaft wird so signalisiert, dass sie die „gute Seite“ wäre und die Polizei für die „gute Sache“ arbeiten würde indem die Polizei die sich um die „böse Seite“, daher um kriminalisierte Gruppen, kümmern würde. Und so wird die vermeintliche Existenz dieser zwei Seiten überhaupt erst erschaffen. Das führt uns zu der Frage, für wen die Polizei überhaupt Sicherheit erzeugt?

Gefahr für die Sicherheit

Das die Polizei eine Gefahr für die Sicherheit ist greift zu Recht die zentralste Legitimationsgrundlage für die Polizei im heutigen Denken an. Im Alltagsverständnis sorgt die Polizei für Sicherheit und die Copaganda wird nicht müde das zu erzählen. Uns soll aber die Fragen beschäftigen um wessen Sicherheit es geht? Um welche Form von Sicherheit es geht? Und wie diese umgesetzt werden soll?

Wessen Sicherheit?

Einige können hoffen von der Polizei beschützt zu werden während andere die Polizei als Bedrohung wahrnehmen. Marginalisierte Gruppen nehmen die Polizei schlicht als Quelle von Repression wahr. James Baldwin schreibt dazu „Polizist*innen sind einfach die bezahlten Feinde dieser [Schwarzen] Bevölkerung. Sie sind da, um die Schwarzen in ihre Schranken zu weisen und um weißen Geschäftsinteressen zu schützen, eine andere Funktion haben sie nicht“ (Baldwin 1966). Für marginalisierte Gruppen ist die Polizei in zweifacher Hinsicht keine Sicherheit: Die Polizei arbeitet aktiv an der Stigmatisierung, Kriminalisierung und Schikane dieser Gruppen und zusätzlich können sie von der Polizei keinen Schutz erwarten. Die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen 1992 sind dafür ein klares wie schreckliches Beispiel.

Welche Form von Sicherheit?

Zwar wird der Dominanzgesellschaft Sicherheit versprochen, doch auch für sie ist ein polizeiliches Verständnis von Sicherheit höchst gefährlich. Während bestimmte Dinge im Kontext von Sicherheit verhandelt wird, werden andere Probleme normalisiert, als unlösbar deklariert oder aus dem Diskurs gänzlich ausgeblendet. Über „Clankriminalität“ gibt es etliche Dokus, über „CumEx“ so gut wie keine. Die abstrakte Gefahr von Terror (zumeist rassistisch aufgeladen und blind für rechten Terror) fast täglich verhandelt, die alltägliche Gefahr im Straßenverkehr wird normalisiert. Hier geht es nicht darum diese Dinge miteinander zu Vergleichen sondern klarzustellen, dass das Probleme gesellschaftlich hergestellt werden und nicht nur von außen an die Gesellschaft herangetragen werden.
Selbst wenn wir uns drauf einlassen den Sicherheitsbegriff nur für die Dominanzgesellschaft zu rahmen (was einem umfassenden Sicherheitsverständnis widersprechen würde) so wird auch hier das Versprechen von Sicherheit nicht eingelöst.
Das vorherrschende Verständnis ist daher kein soziales sondern eins, was sich Sicherheit nur als das Versteht, was polizeilich oder strafrechtlich Verhandelt werden kann. Sicherheit als sozialer Begriff wird völlig ausgeblendet. Hingegen wird die Idee von „Schutz“ zentral gestellt und so eine stark maskulinistische Einteilung von zu Beschützenden und Beschützern vorgenommen. In dieser Logik kann mehr Sicherheit nur durch mehr Ressourcen für die Beschützenden gewährleistet werden. Somit wird die polizeiliche Sicherheit gegen die soziale Sicherheit ausgespielt. Vereinfacht gesagt bedeutet das mehr Geld für Polizei und Gefängnisse statt für soziale Absicherung. Die Stärkung der Polizei führt zu einer Abnahme von sozialer Sicherheit. Und Abnahme von sozialer Sicherheit zieht Handlungen nach sich, die von der Polizei und Dominanzgesellschaft wiederum als „Kriminalität“ definiert werden.

Wie wird diese Sicherheit umgesetzt?

Selbst wenn Sicherheit lediglich als die Abwehr von Gefahr gedacht wird, so ist die Polizei zumeist schlicht das schlechteste Mittel dafür. Konflikte und Ausnahmesituationen eskalieren häufig noch mehr gerade weil die Polizei dazu gerufen wird. Alternative Konfliktschlichtung wird durch die Polizei verunmöglicht. Aus emanzipatorischer Sicht geht es uns auch darum, Konflikte nicht auszulagern sondern wieder anzueignen um einen in unsere Communities eingebetteten transformativen Umgang damit zu finden. Ziel ist nicht eine gänzliche Abwesenheit von Konflikten sondern einen guten Umgang damit zu finden.

Demnach verstehen wir Sicherheit als einen sozialen Begriff. Zentral ist, dass es um eine umfassende Sicherheit gehen muss und nicht bezogen auf bestimmte Bereiche oder nur für bestimmte Gruppen. Sicherheit ist nichts statisches sondern etwas, was wir in sozialen Beziehungen kollektiv immer wieder neu erarbeiten und weiterentwickeln müssen. Und Sicherheit gibt es entweder umfassend oder gar nicht.

Quellen:
Baldwin, J. 1966: A Report from Occupied Territory, https://www.thenation.com/article/culture/report-occupied-territory//
Dömming, E., 2021: Die ganz normale Gewalt, iz3w
Loick, D. (Hrg.), 2018: Kritik der Polizei

4. Polizei und Kapitalismus

Eine Kritik der Polizei geht unweigerlich einher mit einer fundamentalen Staatskritik. Da der Staat in zentraler Weise kapitalistisch organisiert ist ist auch ein Schwerpunkt der Polizei der Schutz von (Privat-)Eigentum. Eigentum ist in Deutschland extrem ungleich verteilt, sodass viele Menschen sehr wenig und wenige Menschen sehr viel besitzen. Diese Schere ging in den letzten Jahren immer weiter auseinander. Ein großer Teil des Eigentums besteht nicht einfach aus dem Geld auf dem Konto, sondern aus Anteilen an riesigen Konzernen, welche Menschen und die Umwelt ausbeuten. Die Polizei im Kapitalismus schützt also nicht vorrangig Menschenleben, zum Beispiel vor der Bedrohung der Klimakrise. Vielmehr schützt sie die Interessen von Konzernen, wie zum Beispiel RWE, die aus der klimaschädlichen Braunkohle Profite machen, die nur wenigen Menschen zugute kommen.

Auch die Justiz schützt hauptsächlich das (Privat-) Eigentum. Das kann man daran sehen, dass der größte Anteil an Verurteilungen mit ca. 40% Vermögens- und Eigentumsdelikte (also z.B. Diebstahl) sind ( Quelle ). Die meisten Strafen sind erst einmal keine Gefängnisstrafen, sondern Geldstrafen. Diese sind zwar nach dem Einkommen gestaffelt, trotzdem trifft die finanzielle Belastung arme Menschen deutlich stärker. Das Brechen von Gesetzen muss man sich also in Deutschland erst einmal leisten können. Menschen die sich das nicht leisten können müssen zum Ersatz dann ins Gefängnis. Das nennt sich „Ersatzfreiheitsstrafe“. Deswegen sitzen zum Beispiel sehr viele Menschen im Gefängnis, die dabei erwischt wurden, dass sie ohne Ticket Bahn gefahren sind. Während ohne Ticket Fahren eine Straftat ist, ist es in Deutschland kein Problem, wenn ein Unternehmen einem*r Manager*in für die gleiche Arbeitszeit 100 Mal so viel Gehalt zahlt, wie einem*r Angestellten. Das zeigt deutlich, dass das was vom Gesetz erlaubt und was verboten ist von der kapitalistischen Logik bestimmt wird. Nach diesem Gesetz handelt auch die Polizei.

Gleichzeitig gehört zum Schutz der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ durch die Polizei auch die Aufstandsbekämpfung, welche sich zum Beispiel am repressiven Versammlungsrecht und an Repression gegen Aktivist*innen zeigt. Geschichtlich ist die Polizei teilweise aus dem Militär erwachsen, weil sich das Militär im Inneren für die Aufstandsbekämpfung nicht funktioniert hat, da es zu unpräzise war.

Da die Polizei die herrschende Ordnung schützt, setzt sie sich auch jedem Protest entgegen, der diese Ordnung kritisiert und angreift. Alle emanzipatorischen Kämpfe, wie der Kampf für Frauen- LGBTQI+ – und Arbeiter*innenrechte oder der Kampf gegen den Kolonialismus und Kapitalismus mussten schon immer gegen Polizeirepression und -gewalt durchgesetzt werden. Außerdem hat die Polizei eine eindeutige anti-kommunistische Geschichte, so diente sie auch zur Niederschlagung der deutschen Arbeiter*innenbewegung in den 1920er und 1930er Jahren. Bis heute sind auch die NS Kontinuitäten der deutschen Polizei offensichtlich, wie unter anderem rechte Netzwerke und NSU zeigen.

In den USA ist die Polizei als direkte Folgestruktur aus den slave patrols, einstanden, die die Funktion hatten, Sklav*innen. die vor ihren Unterdrückern geflohen waren, festzunehmen und zurückzubringen. Näheres zu Polizei und Rassismus steht im nächsten Kapitel.
In der Gegenwart nimmt die deutsche Polizei in der Migrations- und Fluchtbekämpfung eine wichtige Rolle ein, zum Beispiel durch Migrationskontrollen und die Durchführung von Abschiebungen. Menschen die fliehen, fliehen meist aus Ländern, in denen koloniale Kontinuitäten herrschen. Das Land welches im Kolonialismus enteignet wurde z.B. in vielen Fällen nicht zurückgegeben und gehört auch heute noch den Nachfahren der Kolonialist*innen, europäischen Menschen und Konzernen, die weiterhin die Menschen vor Ort ausbeuten. Menschen fliehen auch vor den Folgen der Klimakrise, welche hauptsächlich durch die Kolonialmächte des globalen Nordens verursacht wurde. Vom globalen Kapitalismus profitiert weiterhin hauptsächlich der globalen Norden, und damit die die ehemaligen Kolonialmächte. Die Flucht- und Migrationsbekämpfung durch die Polizei in Deutschland trägt aktiv dazu bei den Zugang zum Reichtum des globalen Nordens zu beschränken. Das zeigt, dass die Polizei sowohl die kapitalistische, aber auch die neokoloniale Ordnung schützt.

Was bedeutet das für unsere Aktionen?

Die Polizei ist in dem Sinn kein neutraler Akteur sondern verfolgt systemische und eigene Ziele. Systemische wie den Schutz von Eigentum und eigene, da sie eigene Macht weiter ausdehnen statt begrenzen will (siehe neue Polizeigesetze). Der Kampf gegen repressivere Polizeigesetze und gegen mehr Einfluss der Polizei sollte daher auch in unseren Aktionen mitbedacht werden.

Bei Aktionen hilft uns ein Verständnis, dass die Polizei nicht neutraler Akteur ist, sondern auf der Seite des Kapitalismus und der Ausbeutung steht und ihre Daseinsberechtigung sowie ihren Machthunger daraus zieht.
Bei Aktionsplanung und insbesondere bei Repressionsfolgen muss uns bewusst sein, dass Klassismus ein elementarer Bestandteil des Repressionsapparat ist. Gerade hier können wir uns gegenseitig (finanziell) unterstützen und emotional supporten.
Ebenso wichtig ist vielleicht die immer bewusst und radikal gestellte Infragestellung von Eigentum. Wenn die Polizei z.B. in einer Kessel-Situation mitteilt, es werde eine Straftat begangen und damit teilnehmenden Aktivisti Angst eingejagt (indem Strafe angedroht wird), dann kann es empowernd sein dieser Drohung eine eigene Legitimation entgegenzusetzen. Beispielsweise profitiert RWE massiv von der Extraktion fossiler Rohstoffe, welche sie durch den Abbau als ihr Eigentum deklarieren und diesen mit Profit verkaufen. Das ist nicht gerecht, das steht dem guten Leben für alle im Wege und die Polizei beschützt diese menschenfeindliche und extraktivistische Praxis. Das hinterfragen von Konzepten wie Eigentum ist dabei eine wichtige wie direkte politische Praxis.

Quellen:
Feralfire, 2020: Die Notwendigkeit der Abschaffung von der Polizei und des Kapitalismus
Mitrani, S., 2020; Warum sich die Polizei nicht ändern wird, Analyse & Kritik
Schwarze Ruhr Uni, 2020: Für ein Ende der Gewalt

5. Polizei und Rassismus

Historisch betrachtet stehen Polizei und Rassismus in engem Zusammenhang, die Polizei und Militär spielen eine wichtige Rolle in der Geschichte und den Verbrechen aus hunderten Jahren Kolonialismus.
Bis heute sind BIPoC überproportional häufiger von Polizeigewalt betroffen als weiße Menschen. Diese strukturelle Diskriminierung durch eine staatliche Gewalt ist absolut menschenfeindlich und nicht hinnehmbar. Rassismus in der Polizei wird von entscheidenden Politiker*innen immer noch geleugnet, verharmlost oder als Einzelfälle umgedeutet. Gerechtigkeit und eine Anerkennung dieses für viele Menschen tödlichen Problems muss von betroffenen Gruppen und ihren Allies bis heute selbst erkämpft werden. Die Bewegung Black Lives Matters zeigt, wie ein einzelner, ungewöhnlich gut dokumentierter Fall von Polizeimord die Resonanz eines schon sehr viel länger andauernden Kampfes weckt und an die unzähligen anderen rassistischen Morde und Gewalt erinnert, welche nur nie dieselbe Medienaufmerksamkeit bekommen haben. Rassismus ist kein neues Problem in der Polizei, Racial Profiling und andere rassistische Vorgehensweisen gegen BIPoC sind seit jeher an der Tagesordnung und beeinflussen das Leben vieler Menschen massiv. Das wird von großen Medien und der weiß dominierten Dominanzgesellschaft allerdings selten anerkannt und wenn, dann weil sich betroffene Menschen dagegen zur Wehr setzen und diese Aufmerksamkeit selbst erkämpfen.

Die Polizei und ihrer Einheiten sind stark weiß dominiert, viele rechtsterroristische Gruppierungen hatten und haben Verbindungen in Polizei und Militär. Das es ein strukturelles Problem in und mit der Polizei in Deutschland gibt ist mit unzähligen Berichten und Fakten belegt. Die krasse Abwehrhaltung von Seiten der Dominanzgesellschaft gegenüber dieser Analyse zeigt wie sehr das Problem der Polizei in Deutschland verharmlost und verschwiegen wird. Und damit wird rassistische Gewalt von Seiten des Staates fortführend gestärkt und rassistischen Verbrechen durch die Polizei der Weg bereitet.
Auch das ist ein Grund, warum wir diese Verharmlosung und Leugnung nicht reproduzieren wollen, wir sehen eine dringende Notwendigkeit, sich klar und nach außen positionieren. Das Engagement gegen neokoloniale Geschäfte mit Gas, gegen eine rassistisch geprägten Gesellschaft und Polizei, gegen einen Rassismus, welcher den (Neo-) Kolonialismus erst ermöglicht (hat) kann konsequent nur mit einer radikalen Kritik und der Forderung nach Abschaffung der Polizei einhergehen.

Was bedeutet das für unsere Aktionen?

Zuerst einmal zeigt die bittere Realität, das BIPoC in Aktion einer größeren Gefahr durch Polizeigewalt ausgesetzt waren und sind als weiße Aktivisti. Dem auf verschiedene Weise Solidarität und Widerstand entgegenzusetzen, muss unbedingt stärker ins Bewusstsein aller Strukturen und Beteiligter bei Ende Gelände Aktionen gelangen. Gleichzeitig darf das nicht zu einer Infantilisierung von betroffenen Menschen führen, nicht im Denken und nicht im Handeln. Stattdessen muss Rassismus als gefährliche Haltung in der Polizei wahrgenommen werden können und betroffene Menschen in ihren Bedürfnissen und Definitionen der jeweiligen Situation anerkannt werden. Praktische Versuche können z.B. sein BIPoC Shuttle, dezidiertes Reflektionsmaterial und Legal Broschüren speziell für von Rassismus betroffene Menschen sein.
Sensibilisierung kann auf verschiedene Weise stattfinden. Informationsaustausch, Fragen stellen, spezielle Infoveranstaltungen und Erfahrungsaustausch von rassistischer Polizeigewalt können alle dazu beitragen, uns nach innen zu stärken, jeweils z.B. problematische Muster nicht zu reproduzieren oder eben Momente des Empowerments oder der Anerkennung zu bekommen.
Ebenfalls muss auf dem Camp latentem Rassismus reflektiert begegnet werden. Bereits diffus unangenehme Gefühle, der Zwang diese erklären zu müssen und/oder „Alltagsrassismus“ sind bereits Gründe, welche Menschen das Leben schwer machen, nerven oder gar gänzlich abschrecken und damit einer intersektionalen Zusammenführung von Kämpfen im Weg stehen. Safer BIPoC only Räume sind da nur eine Möglichkeit, die neben vielen anderen praktischen Handlungsoptionen steht. Insgesamt geht es hierbei nicht darum sich nur auf einzelne Aspekte zu konzentrieren, diese isoliert auszugreifen und sich ggf darauf auszuruhen. Die Kritik, dass weiße sich mit der Frisur der Looks ein Schwarzes Widerstandssymbol sich aneignen braucht eine Auseinandersetzung und Positionierung. Dabei geht es keinesfalls um die Maßregelung einzelner Personen, sondern darum, dass wir alle eine kollektivistische Praxis pflegen, welche Menschen nicht ausschließt. Im Blick muss dabei immer die Überwindung von strukturellen, ökonomischen und alltäglichen Diskriminierungen stehen.

Quellen:
Darabi, D. et al., 2020: Polizei ohne Rassismus gibt es nicht; Analyse & Kritik
Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (Hg., 2016): Alltäglicher Ausnahmezustand. Institutioneller Rassismus in deutschen Strafverfolgungsbehörden
Laufenberg, M., Thompson, V. E. (Hrg.), 2021: Sicherheit. Rassismuskritische und feministische Debatten
Williams, K.; 2015: Our Enemies in Blue
Sarbo, B., 2020: Wie polizeiliches Racial Profiling Rassismus anheizt; Analyse & Kritik

6. Polizei und Sexismus

Wir leben in einer Gesellschaft, die fundamental patriarchal aufgebaut ist und in der Sexismus, Rape Culture, Victim Blaming strukturell verankert sind. Das gilt für alltägliche Situationen und unser persönliches Umfeld genauso wie für unsere politischen Gruppen. Wenn wir über Sexismus bei der Polizei sprechen, dann sei erinnert, dass es sich hierbei nicht um ein Problem handelt, das nur bei der Polizei vorkommen würde.
Dennoch, und darauf richtet sich unser Blick, ist die Polizei aufgrund ihrer Machtposition auch hier besonders in den Fokus zu nehmen. Cop Culture sieht sich selbst als stark, kämpferisch und männlich, samt binären Geschlechterverständnis und Abwertung aller nicht-männlichen Identitäten, sei es queer und/oder weiblich. Doch die Polizei reproduziert nicht nur die patriarchalen Strukturen, sexistische Handlungen und Strukturen der Polizei sind als Teil des Repressionsrepertoire zu verstehen. Sexistische, homo- und transfeindliche Erfahrungen von Betroffenen und Zeug*innen sind gut dokumentiert .

Die Gesellschaft hat Polizist*innen mit einer besonderen Machtposition ausgestattet und zudem Kontrolle darüber auf ein Minimum begrenzt. Die Folge davon sind Nötigung, Einschüchterung und Diskriminierung. Strukturell und individuell angelegte Macht kann und wird ausgenutzt. Die Polizei ist ein politischer Akteur (siehe Kapitel 3) und legt den Fokus auf die eigene Machterhaltung oder Ausweitung des Einflussbereiches und die Bewahrung der patriarchalen, rassistischen und kapitalistischen Ordnung. Damit sind queere Menschen per Definition im Visier der Polizei, da diese durch ihre bloße Existenz dieses cis-sexistische System in Frage stellen.

Was bedeutet das für unsere Aktionen?

Für unseren Umgang untereinander in Aktion ist es Zentral, Sexismus und auch sexualisierte Gewalt nicht als etwas zu denken, was „bei uns nicht stattfinden würde“.
Aber darüber hinaus sind wir weder in Aktion noch im Alltag einzig in unseren Communities unterwegs. Daraus folgt, dass wir auch da einen uns gegenseitig unterstützenden Umgang finden müssen.
Bei Sexualisierter Gewalt hat die Polizei immer und immer wieder gezeigt, dass sie keine Hilfe ist. Oft werden Aussagen Betroffener von der Polizei in Frage gestellt, die Anzeigenden werden gedemütigt oder unter Druck gesetzt. Die Frage, ob Betroffene zur Polizei gehen ist eine, die von den Betroffenen selbst entschieden werden muss. Diese Frage ist aber keine, die „entweder zur Polizei gehen“ oder „nichts tun“ bedeutet. Selbstbestimmte und transformative Prozesse, unterstützt durch die Community können eine wirkliche Alternative sein. Dafür müssen entsprechende Strukturen aufgebaut werden, siehe Kapitel 8 und 9.

In der Vorbereitung der Aktion ist es wichtig die sexistische Handlungen und Strukturen der Polizei als Teil des Repressionsrepertoire zu verstehen und als solches gemeinsam zu bekämpfen.
Dazu gehören präventiv sich Konzepte zu überlegen, in Bezugsgruppen herauszufinden wie eine Unterstützung in konkreten Fällen aussehen kann. Auch in dem Wissen, dass die Polizei Kontexte wie Gefangenensammelstellen auch dafür nutzt unseren gegenseitigen Support zu erschweren oder zu verhindern.
Als größere Struktur können wir versuchen Eingriffe der Polizei zu verhindern. Im Nachhinein der Aktion braucht es gegenseitige Unterstützung um das Erlebte aufarbeiten zu können.

Die Polizei operiert unter einem cis-normativen Weltbild. Binäres Geschlechtsverständnis aufrecht zu erhalten ist ein teil patriarchaler Gewalt. Konkret heißt das „geschlechtergetrennte“ Gefangenensammelstellen (GeSa) nach männlich und weiblich. Für Inter-, trans*-, nicht-binäre und agender Menschen bedeutet das häufig misgendering und Behandlung in der sie intime Details schwer schützen können. In der Vorbereitung müssen diese Menschen sich überlegen, wie sie potentiell von der Polizei gelesen werden und in welche Kategorie gesteckt. Der Satz aus dem Aktionstraining „sucht euch einen Buddy, die*das*der das gleiche Geschlecht hat, damit ihr zusammen in der GeSa sein und euch supporten könnt“ wird damit ungleich komplizierter.
Auch kann Menschen, die Angaben zu ihrer Identität verweigern und deshalb einen längeren Aufenthalt in einer Zelle riskieren nicht zugesichert werden, dass den Zugang zu ihrer HRT (Hormonersatztherapie) bekommen.
FLINTA* im allgemeinen berichten immer wieder von sexistischer Behandlung durch die Polizei. Genauso wie bei anderen Fällen sexualisierter Gewalt ist es hier wichtig die betroffene Person im Sinne der solidarische Parteilichkeit zu unterstützen.

Quellen:
Ignite! Kollektiv, 2021; Podcast zu Sexismus und Transfreindlichkeit bei der Polizei
Theweleit, K., 1977; Männerphantasien
Wichterich, C., 2021; Ein Ausbund toxischer Männlichkeit, in iz3w

7. Reformierbarkeit der Polizei

Entstanden zum Schutz von Eigentumsverhältnissen und staatlichen Machterhalt, der sich in der Verteidigung von kolonialen Strukturen (z.B.im Niederschlagen von Aufständen im heutigen Namibia oder China), sowie die Schaffung einer „höherstehenden“ Kultur und Ordnung, die die Ermordung von Jüd*innen und anderen „unerwünschten“ Personen zur Folge hatte, hat die Polizei diese Wurzeln noch immer nicht überwunden.

Rassismus ist und bleibt ein Problem der Polizei. Ja unsere ganze Gesellschaft ist rassistisch und wir alle haben diesen strukturellen Rassismus gelernt und reproduzieren ihn. Aber die Polizei hat ihn so weit in der eigenen Geschichte und Struktur, dass es kaum sinnvoll scheint zu versuchen ihm durch „Sensitivitätstrainings“ oder mehr BIPoC Menschen bei der Polizei entgegen zu wirken. Gesetzgebung ist Rassistisch und wenn die Polizei diese ausübt und in ihrem Sinne interpretiert dann tut sie das in rassistischer Weise. Darüber hinaus agiert die Polizei oft genug jenseits des Gesetzes. Und so oder so mit fatalen und tödlichen Folgen. Den Rassismus der Polizei könnten wir nicht überwinden, indem wie sie ein bisschen weniger schlimm machen. BIPoC Communities leben nicht mit (dem Schutz) der Polizei, sondern trotz ihr. Häufig sind es nicht BIPoCs die von der Polizei als zu schützen betrachtet werden, die Polizei sieht eher dass sie die Dominanzgesellschaft von BIPoC schützen müsste. Rassistische Gewalt ist zu verbreitet bei der Polizei und zu gefährlich für uns Alle. Polizei schützt die rassistischen Besitzverhältnisse, die BIPoCs von Selbstbestimmung, Macht und Einfluss auf die eigene Lebensrealität fernhalten.

Ebenso werden klassistische Machtverhältnisse aufrechterhalten, in dem Eigentum geschützt wird und über das Wohl von Menschen gestellt wir, etwa wenn wohnungslose Menschen von ihren Schlafplätzen vertreiben werden, Hausprojekte geräumt, oder das Recht auf Kohleförderung mehr wiegt als das Recht auf ein Klima in dem Nahrungsmittelsicherheit bestehen kann. Polizei sorgt für Recht und Ordnung im Interesse des Kapitals und den Schutz von Eigentumsverhältnissen, die wir aufbrechen müssen um eine klimagerechte, antikapitalistischen Welt zu ermöglichen. „Sicherheit“ bedeutet im Kapitalismus nicht ein gutes Leben für Alle (z.B. eine Wohnung) sondern der Schutz des Vermögens von Wenigen. „Ordnung“ im Kapitalismus bedeutet den Erhalt des bestehenden ungerechten Systems und die Repression emanzipatorischer Kämpfe, die sich gegen diese kapitalistische Ordnung richten.

Auch Sexismus ist tief in die Strukturen der Polizei eingeschrieben und wird täglich reproduziert. „Ordnung“ ist auch eine cis-normative patriarchale Ordnung, die die Unterdrückung aller nicht cis-männlichen Geschlechter vorsieht. Für anders sein hat die Polizei keinen Raum. Dafür wie vielfältig Menschen sind und wie vielfältig in ihrem Ausdruck. Polizei war schon immer der ausführende Arm von homo-, trans- und queerfeindlicher Gesetzgebung, die durch konservative und rechte Kräfte bestimmt wurde und wird, um gesellschaftliche, patriarchale Machtstrukturen zu zementieren. Da hilft keine Diversity oder Pinkwashing. Stonewall war eine Reaktion auf massive Polizeigewalt.

Die Polizei ist also nicht der „Freund und Helfer“ von uns Allen sondern der von Wenigen. Und auch wenn es „nette“ Polizist*innen gibt ist die gesamte Struktur der Polizei darauf ausgelegt die Machtverhältnisse aufrecht zu erhalten, gegen die wir kämpfen. Eine Polizist*in kann nicht die Gesetze ändern, nach denen sie vermeintliche Straftäter*innen verfolgt und festnimmt und welche dann von der Justiz verurteilt werden. Auch, und noch viel wichtiger, es ist gar nicht im Interesse der Polizei das zu ändern. Denn sie strebt ja nach ihrem eigenen Machterhalt, viel mehr ist sie bestrebt noch mehr Macht an sich zu reißen. Die Polizei definiert sich selbst als alternativlos und sieht gar nicht ein diese Position aufzugeben, auch wenn es andere Institutionen gäbe die gesellschaftliche Probleme besser Adressieren. Viel mehr ist sie der Meinung, man müsste nur die Polizei besser ausstatten und mit mehr Geld überschütten, vielleicht hilft ja noch eine Sondereinheit oder Schützenpanzer…

Die Kernfunktionen der Polizei sind also so eng mit dem Kapitalismus verbunden, dass eine Reform von einzelnen Gesetzen oder Maßnahmen das Grundproblem nicht beheben kann. Es ist wünschenswert, wenn der Polizei Kompetenzen entzogen werden oder Paragraphen abgeschafft und Menschen weniger kriminalisiert werden. Sensibilisierung der Polizei kann in einzelnen Momenten helfen. Gleichzeitig kann es kontraproduktiv wirken wenn es lediglich der Inszenierung einer vermeintlich besseren Polizei dient. Und es wird die strukturellen Gegebenheiten nicht verändern. Wir lehnen eine Reform der Polizei als Lösung ab, weil in unserer Utopie eine Polizei nicht notwendig ist und deshalb abgeschafft werden muss. Und auf dem Weg in diese befreite Gesellschaft steht die Polizei uns im Wege, weil sie die kapitalistischen Verhältnisse schützt, weil sie zur Unterdrückung beiträgt und weil sie gegen emanzipatorische Bewegungen vorgeht.

Quellen:
Sharama, M., 2020; Nie notwendige Abschaffung der Polizei, Analye & Kritik
Ignite Kollektiv., 2021; Nicht reformierfähig, iz3w

8. Alternativen zur Polizei

Polizei muss Abgeschafft werden. Das ist wohl was deutlich wird, wenn wir betrachten was in den vorangegangenen Kapiteln beschreiben wird. Und dennoch spielt bei dem Gedanken der Abschaffung auch eine Angst vor Veränderung mit.
Und es schwingt eine Ungewissheit mit, was aus der gesellschaftlichen Ordnung wir, wenn die Staatsgewalt, wie wir sie momentan kennen, wegfällt. Dahinter steht eine Angst. Die Angst wer Menschen vor der willkürlichen Gewalt anderer Schützt. Dabei wird übersehen, das erstens Polizei häufig selber Verursacher willkürlicher Gewalt ist und zweitens, dass die Polizei einen wirklich schlechten Job macht, wenn es darum geht Gewalt vorzubeugen. Viele marginalisierte Gruppen wissen, dass Polizei für sie keine Sicherheit ist und nicht zum Schutz ihrer Communities agiert. Die Frage „wer wird denn für Recht und Ordnung sorgen, wenn es keine Polizei gibt“ ist somit eine die von einer privilegierten weißen und cis-hetero-normativen Perspektive ausgeht, in der die Polizei einen schützenswerten Status Quo verteidigt, der (scheinbar) die eigene Sicherheit, aber auch die eigenen Privilegien erhält.
Für Gerechtigkeit braucht es keine Polizei und keinen Staat. Denn auch wenn der Begriff schwammig und schwer zu definieren ist, er ist definitiv nicht das gleiche wie „Recht“ (momentan insbesondere Regeln und Strafen gegossene Normen, die der Aufrechterhaltung eines kapitalistischen und rassistischen Systems dienen), und auch nicht die Gewalt die Polizei ausübt, in dem sie sich vage auf das Recht beruft und gleichzeitig von ihm geschützt wird. Auch momentan schützt der Rechtsstaat vor der Polizei und ihrer Wilkür, oft mehr schlecht als recht. Die Polizei ist jedoch nicht dafür da den Rechtstaat zu schützen. Das behauptet sie immer wieder gerne um sich so unhinterfragbar und wichtig zu machen.

Dennoch sind diese Ängste verständlich, vor allem in einem System, dass von uns erwartet in Konkurrenz zueinander immer damit zu rechnen, dass jemand anderes kommt um uns dem wenigen zu berauben was uns der Kapitalismus zugesteht. Recht und Gerechtigkeit ohne Polizei neu zudenken erfordert ein neu denken der Systeme und Strukturen in denen wir leben. Aber ist es genau das was wir wollen und brauchen? Uns nämlich aus alten und gewaltvollen Herrschaftsstrukturen zu lösen.
Vor allem queere und BIPoC Communitys, für die Polizei nie Sicherheit und Schutz bedeutete, haben Alternativen entwickelt um nach Gerechtigkeit und vor allem Verantwortungsübernahme für Gewalt zu streben, in einer konstruktiven und systemverändernden Art und Weise. Darunter fallen z.B.Transformative Gerechtigkeit und Community Accountability. Zentral hierbei ist das Eingeständnis, dass Gewalt keineswegs Produkt eines fehlgeleiteten Individuums ist, wie es so schön in die neo-liberale Ideologie passt, sondern vielmehr Ergebnis eines Systems, welches Gewalt ermöglicht und durch sie aufrecht erhalten wird.
Demnach kann Gewalt nicht durch das Isolieren, Entfernen oder das Einschüchtern eines einzelnen Problematischen Individuums aus der Gesellschaft begegnet werden. Vielmehr braucht es kollektive Lösungen und gemeinsame Arbeit zur Veränderung der systematischen Bedingungen, die die Gewalt ermöglichten. Als Alternative zu einer brutalen Gruppe (benannt als Polizei) die mit „staatlich legitimierter“ Gewalt die Aufrechterhaltung eines gewaltvollen Systems ermöglicht, gibt es die Möglichkeit kollektiv Verantwortung zu übernehmen und gewaltausübende Personen so zu verpflichten ihr Verhalten zu reflektieren, zu ändern und ihrerseits Verantwortung zu übernehmen für Schaden den sie verursacht haben.
Dabei geht es nicht darum die gewaltausübende Person zu bestrafen und verurteilen. Die Ziele lassen sich stattdessen so formulieren:

  • kollektive Unterstützung, Sicherheit und Selbstbestimmung für Betroffene;
  • Verantwortung und Verhaltensänderung des*der Gewaltausübenden Person;
  • Entwicklung der Community hin zu Werten und Praktiken, die gegen Gewalt und Unterdrückung gerichtet sind;
  • strukturelle, politische Veränderungen der Bedingungen, die Gewalt ermöglichen.

Unterstützung von Betroffenen kann dabei alle möglichen Formen annehmen, je nach den Bedürfnissen der Betroffenen Person. z.B. Soziale Unterstützung durch Räume für emotionalen Austausch oder praktische Unterstützung bei alltäglichen Aufgaben (diese auch nicht alleine auf die Gewalt bezogen die Personen erlebt haben), sowie Rückhalt der Community, wenn es darum geht gewaltausübenden Personen deutlich zumachen, dass ihr Verhalten inakzeptabel ist.

Für gewaltausübende Personen kann eine Kontaktgruppe gebildet werden, diese kann die gewaltausübenenden Person dabei unterstützen, ihr Verhalten zu reflektierenen und die die Wünsche der betroffenen Person umzusetzen.

Für die Community selbst bedeutet diese ein Reflektieren der eigenen Machtstrukturen und Systeme die Gewalt ermöglicht haben, mit dem Ziel strukturelle Veränderungen umzusetzen.
Die Hoffnung ist dabei mit einem solchen Vorgehen betroffenen Personen gerecht zu werden und das entwickeln hin zu einem gemeinsamen Leben, welches gewaltvolle Systeme erkennt und aktiv gegen sie Vorzugehen und präventiv zukünftige Gewalt zu verhindern.

Wichtig ist dass wir uns eingestehen, dass wir auch in aktivistischen Räumen nicht in einer gewaltfreien Utopie sind. Auch hier brauchen wir einen Umgang mit Gewalt und Möglichkeiten dieser zu begegnen, anstatt sie totzuschweigen und zu hoffen, dass alle die sich in diesen Räumen Bewegen gut genug ihren eigenen Scheiß zusammenhaben, dass das nicht passiert. Das ist nicht nur unrealistisch, sondern adressiert auch nicht die Realität, in der Gewalt etwas ist was aus gesellschaftlichen Strukturen heraus entsteht und ermöglicht wird. Viel mehr wird hier ein individualistisches Bild von Gewalt reproduziert.

Diese Ansätze sind nicht perfekt und es zeigt sich dass es an vielen Stellen schwierig ist, wenn keine stabile Community diese Ausgleichs-Prozesse mittragen kann. Aber sie bieten die Chance auf betroffenen-zentrierten Umgang mit Gewalt und schaffen von einer echten Sicherheit durch Veränderung von gewaltbegünstigenden Systemen.
Damit sind sie effektiver und sinnvoller als eine Institution die selbst vor allem Gewalt ausübt, sowohl gegen gewaltausübende Personen, als auch gegen betroffene Personen, die in ihrer eigenen Gewalterfahrung reduziert werden zu Opfern und Beweismitteln. Wir sollten uns nicht aufgrund der Angst vor Veränderung an ein System klammern, was selbst gewaltvoll ist.

Quellen:
Brazzell, M., 2018; Was macht uns wirklich sicher?; edition assemblage
CARA, 2014; Das Risiko wagen: Strategien für selbstorganisierte und kollektive Verantwortungsübernahme bei sexualisierter Gewalt.
Gelderlos, P., 2014: Learning from Ferguson
Generation Five, 2017; Transformative Justice Handbook
Warzone, D., 2017; Safety is an illusion: reflections on accountability

9. Aktivistische Antworten

Wie halten wir es nun im Kontext Ende Gelände mit der Polizei? Zuerst soll uns klar sein, dass die Auseinandersetzung mit dem Polizeikomplex nicht erst mit dem Gedanken oder Impuls bzw. dem Moment beginnt, wo die Polizei gerufen werden soll bzw. wir in einer anderen Form mit ihr konfrontiert sind. Um uns selbst und den Communities, in denen wir leben Sicherheit zu geben, braucht es eigene Strategien und Aushandlungsprozesse. Und insbesondere präventive Gespräche, Maßnahmen und Konzepte.

Wie kann das also konkret bei Ende Gelände aussehen?

Wir haben verschiedene Wege und Möglichkeiten bei Ende Gelände, um Haltung gegenüber der Polizei und Solidarität nach innen zu praktizieren. Sicher muss eine die gemeinsame Diskussion und Auseinandersetzung, sowohl in der Ortsgruppe als auch auf großen Bündnistreffen dazu die Basis sein. Im Folgenden sollen aber vor allem einige praktische Maßnahmen, relevanten Fragen und aktivistische Antworten auf die Polizeigewalt bedacht und vorgestellt werden.
Vorweg sei noch gesagt, dass die meisten praktischen Handlungsoptionen und aktivistischen Antworten im Kern versuchen müssen, Solidarität untereinander und Abwehr der Polizei zu ermöglichen. Das kann vieles umfassen, wie sich gegenseitig bei laufenden Prozessen zu unterstützen, sich radikal solidarisch mit besonders betroffenen Menschen zu zeigen oder öffentlich Kritik an der Institution Polizei zu äußern. In jedem Fall geht es um Handlungen, die z.T. individuell ausgeübt werden, jedoch immer als Teil eines strukturellen Widerstands gegen eine strukturelle Gewalt gemeint sind. Das soll hier noch einmal betont werden. Es geht nicht darum, die individuelle Handhabe von Menschen gegenüber der Polizei zur Gänze festzulegen, sondern ein gemeinsames Verständnis von radikaler Solidarität zu entwickeln.

„Darf“ ich als Aktivisti bei Ende Gelände Aktionen nicht mehr mit der Polizei reden?

Bei unseren Aktionen haben wir oftmals mit der Polizei zu tun und verschiedene Akteure bei Ende Gelände können eine unterschiedliches strategisches Verhältnis zur Polizei entwickeln wobei im Gesamten unsere Grundposition unverrückbar bleibt: Die Polizei ist keine Sicherheit und muss abgeschafft werden.
In unserem strategischen Verhältnis ist es wichtig selbstkritisch zu bleiben und die Aktion, unsere Überzeugung und den Willen der anderen Aktivistis im Blick zu behalten. Mandatierten Strukturen fällt es oft leichter dies zu reflektieren als ein wenn einzelne Aktivistis spontan mit Polizist*innen reden.

2021 wurde das erste Mal konkret im Aktionskonsens auf das „Nicht quatschen mit der Polizei“ verwiesen. Was hat es damit auf sich? Gemeint war und meint es seit dem, dass wir als Aktivisti in Aktion nicht proaktiv auf die Polizei zugehen und mit einzelnen Polizist*innen das Gespräch suchen oder uns in einen “provokanten Plausch“ oder vermeintlich selbstermächtigende Verhandlungen einlassen. Damit ist nicht jegliche Art der Kommunikation zu jedem erdenklichen Anlass gemeint und niemensch kann das in diesem Sinne verbieten oder durchsetzen. Es geht viel mehr um eine praktizierte Solidarität gegen über Menschen, welche besonders betroffen von Polizeigewalt sind.
Konkret wurden bei Ende Gelände Aktionen immer wieder BIPoC gezielt von der Polizei drangsaliert, rausgezogen und anderweitig schikaniert. Wenn in der gleichen Situation weniger betroffene, z.B. weiße Menschen, aus Langeweile oder reiner Neugier am Rande eines Kessels anfangen mit Polizist*innen zu diskutieren, ist das unsolidarisch und darüber hinaus nicht zielführend. Zu diesem Denkanstoß wurde Ende Gelände vom Bündnis ‚Antikoloniale Attacke’ verholfen und seitdem findet sich dieser Wunsch auch im Aktionskonsens.
Oft wird sich auch ein vermeintlich strategischer Vorteil erhofft, wenn man sich der Polizei gegenüber als besonders kooperativ oder kommunikativ zeigt. Das lässt aber außer Acht, dass die Gewalt von Polizei, gegenüber manche Menschen mehr als anderen, immer auch willkürlich ausgeübt wird. Das müssen wir uns alle ins Gedächtnis rufen und ganz besonders dann, wenn wir keine derartigen Erlebnisse mit der Polizei hatten. Konkret geht es nicht darum Polizist*innen nicht anzusprechen, wenn jemand schwerverletzt ist, Medikament braucht oder ein anderer Notfall oder dringender Bedarf besteht und die Polizei einen direkten Support durch Sanis oder Rettungskräfte aktiv verhindert. Auch bei diesen Fällen müssen vorher die betroffenen Person gefragt werden, aber dabei geht es eben genau nicht um reine Neugier, vermeintliches Empowerment („Ich verbessere meine Situation indem ich mit der Polizei diskutiere ohne dass ich mich selbst in besonderer Gefahr wähnen muss, weil z.B. nicht von Rassismus betroffen“) oder gar Unterhaltung.
Wir wünschen uns bei Ende Gelände einen möglichst solidarischen und reflektierten Umgang untereinander, das gilt natürlich nicht nur bezogen auf die Kontaktaufnahme mit der Polizei.

Klare Kommunikation nach außen und innen auf Camp und in Aktion

Wir möchten dass sich auf dem Camp und auch in Aktion Menschen wohl und zumindest im Rahmen des möglichen geschützt fühlen können. Das heißt im besonderen, wir wollen keine Polizei auf dem Camp. Sollte es im Rahmen mit Versammlungsbehörden etc. doch einmal dazu kommen, möchten wir versuchen diese „behördlichen Begehungen“ auf ein Minimum zu reduzieren und es vorher anzukündigen, sodass sich Menschen dem entziehen können oder zumindest einen eigenen Umgang frei wählen können.
Gleichzeitig sind wir gerade im Bezug auf das Camp auf dieses strategische Verhältnis angewiesen und möchten daran erinnern, die betreffenden Strukturen wie z.B. der Camp AG dahingehend zu unterstützen, sich an gemeinsame Absprachen, welche die Auflagen an das Camp betreffen, einzuhalten. Ein kollektiv reflektierter und strategische Umgang ist nicht gleichbedeutend mit einem Verrat an unserem Grundsatz, dass wir die Polizei abschaffen wollen.
Wir möchten auch daran erinnern, dass aggressive Verhalten gegenüber der Polizei auch Ausdruck besonders mackerigen Verhaltens sein kann. Wenn ein bestimmtes Verhalten nur aufgrund bestimmter Privilegien den Tag gelegt wird (weil Menschen z.B. weniger Polizeigewalt ausgesetzt sind oder aus versah. Gründen nicht mit Konsequenzen fürchten müssen), heißen wir das nicht willkommen.
Genau andersherum geht es aber auch nicht klar. Wir werden die ausgeübten Repressionen (rausgezogen werden, knüppeln, gefesselt werden) nicht auf das Verhalten der Betroffenen zurückführen, ohne diese Einschätzung kritisch zu hinterfragen. Auch hier darf keine Täter-Opfer-Umkehr betrieben werden. Das ist eine gewaltvolle Umdeutung der Verantwortung, welche nicht selten aus einer nicht bewussten oder ignorierten privilegierten Position heraus zu hören ist.
Die Polizei entscheidet selbst, willkürlich, und auf rassistischer als auch sexistischer Basis, welchen Schaden sie Menschen zufügt. Auch hier wünschen wir uns von allen Aktivisti in allen Strukturen maximale Solidarität mit den Betroffenen. Zuletzt kann Polizeigewalt alle treffen und unsere größte Stärke ist unser Zusammenhalt.
Dazu gehört auch eine offene Auseinandersetzung, was wir medial nach Außen tragen und dass wir einen sensiblen Umgang mit dem Arbeitsauftrag der Struktur walten lassen, welche strategische Verhältnisse zur Polizei halten.

Antirepressions-Strukturen für Vor- und Nachbereitung

Es ist wichtig wie notwendig anzuerkennen, dass wir uns um direkte Repression und Strafe (zB. Polizeigewalt) und langfristige Repression und Strafe (zB durch Gerichte) in gemeinschaftlicher und solidarischer Weise kümmern müssen. Repression versucht einezelne Menschen zu treffen. Unsere stärkste Kraft dagegen ist uns nicht vereinzeln zu lassen sondern dieser gemeinsam zu begegnen. Das Auseinandersetzen mit Repression fängt nicht erst dann an, wenn Repression konkret stattfindet. Vielmehr wollen und müssen wir einen langfristigen und präventiven Umgang mit Repression erlernen und immer wieder etablieren.

Unter Antirepressionsarbeit lassen sich vielfältige Maßnahmen , Strukturen und Handlungsweisen vereinen, welche der Bestrafung, Unterdrückung und Sanktionieren durch die Polizei (= Repressionen) und den Staat entgegenwirken sollen. Hierbei gibt es nicht die eine fertige Liste sondern ist von Situationen, Bedürfnissen und Entwicklungen abhängig. Beispiele für Antirepressionsarbeit können sein:

  • Soliparties und andere Veranstaltungen, um anfallende Kosten wie Strafgelder, Prozesskosten und weiteres abzudecken.
  • Beratende Strukturen, welche betroffenen Menschen mit Informationen und Handlungsoptionen zur Seite stehen z.B. die „Rote Hilfe“, das Legal Team und andere gemeint. Diese Strukturen können zum Teil auch „nur“ temporär rund um eine Aktion bestehen oder eben über Jahre hinweg arbeiten.
  • Anti-Repressions AG, welche sich diesem Thema explizit widmet und Prozesse im Ende Gelände Kontext behandelt
  • Temporäre oder feste Anti-Repressions-Strukturen in Ortsgruppen, um besonders nach der Aktion für die Vernetzung und Nachbereitung Betroffene zu unterstützen
  • Gegenseitige Unterstützung und emotionales gegenseitiges Auffangen in und nach Aktionen.

Weder vor noch in oder nach Aktionen wollen wir uns gegenseitig alleine lassen sondern und uns gemeinsam gegen Repressionsstrategien stellen, die darauf abzielen uns vereinzeln zu wollen.

10. Ausblick

In diesem Text gab es verschiedenste Denkanstöße, um sich kritisch mit dem Konzept und der Idee der Polizei auseinanderzusetzen. Ein erster wichtiger und notwendiger Schritt ist, die Polizei als etwas kritisierbares und und etwas abschaffbares zu verstehen.
Weil es eine Zeit vor der Polizei gab ist diese eine historische Erscheinung und damit auch überwindbar. Die Polizei ist nicht neutral, sondern ein politischer Akteur. Und genau als diesen kritisieren wir die Polizei. Und die Polizei ist in sich eine Gefahr für die Gesellschaft, für die Individualität und für die Sicherheit.
Weil es die Aufgabe der Polizei ist, das kapitalistische, rassistische und sexistische System zu bewahren, agiert sie genau in dieser Weise: klassistisch, rassistisch und sexistisch. Dabei ist die aktive Diskriminierung von marginalisierten Gruppen durch die Polizei ein Teil des Repressionsrepertoire zu verstehen und eine diskriminierende und menschenfeindliche Normierung der Gesellschaft.
Dieser strukturellen Diskriminierung setzen wir eine solidarisches und allumfassendes Sicherheitsverständnis entgegen. Und wir verstehen Sicherheit als keinen Zustand, der von außen aufgedrückt werden kann, sondern einen transformativen Prozess. Das kann auch nicht ausgelagert werden sondern muss in und durch unsere Beziehungen und Communities erarbeitet werden.
Konflikte an sich sind nicht das Problem sondern wie wir unterschiedliche Bedürfnisse und Sichtweisen miteinander aushandeln ohne Instrumente der Angst oder Unterdrückung zu brauchen. Deshalb braucht es auch da eine Wiederaneignung von Konflikten statt das auslagern an repressive Institutionen.
Solche Praktiken und Beziehungsweisen in den Konflikte ausgehandelt werden können, brauchten Übung und sind kein fertiges Produkt sondern ein fortlaufender Prozess. In unseren Gruppen und Communites ist es wichtig dies zu praktizieren um die in Kapitel 8 beschriebene Angst vor Veränderung zu überwinden und um uns und anderen Sichtbar zu machen, wie ein Leben ohne Polizei und ohne Straflogik aussehen kann.

Gleichzeitig sind wir eingebettet in eine Gesellschaft, die auf Straflogik und Polizeidenken basiert. Von unserem Wunsch einer Abschaffung der Polizei allein wird sie nicht aus unserem Alltag verschwinden. Wenn es unumgänglich ist, mit der Polizei zu tun zu haben, dann ist es gut sich im Vorfeld Gedanken um die eigene Positionierung, mögliche Privilegien oder Diskriminierungsformen zu machen und möglichst wenig der Polizei mitzuteilen. Das kann in Aktionen sein oder in Alltagssituationen. Wenn beispielsweise für einen Versicherungsfall ein Dokument der Polizei notwendig ist, dann kann es eine Strategie sein, in dem speziellen Fall nur das notwendigste der Polizei mitzuteilen und bei Fragen nach Tatverdächtigen sich an nichts zu erinnern.

Wenn wir davon sprechen, transformative Praktiken einzuüben und so die Polizei überflüssig zu machen, dann ist das keineswegs als ein individualistischer Ansatz zu verstehen. Weil die Polizei keine Sicherheit ist, wollen wir so anfangen Strukturen zu etablieren, die Sicherheit für alle gewährleisten können.

Und weil bei allen auch wirklich alle mitgemeint sind, geht das eben nur wenn unverrückbar der Fokus darauf liegt, die Polizei komplett abzuschaffen. Unsere Polizeikritik ist ein Teil unserer Staatskritik und eine Kritik am vorherrschenden, repressiven Sicherheitsverständnis. Und unsere Staatskritik ist klar antikapitalistisch, antirassistisch und queerfeministisch. Die Überwindung dieses ausbeuterischen und diskriminierenden Systems ist genauso wie die Überwindung der Polizei alternativlos für eine befreite Gesellschaft.

Auf gehts! Abolish the police!

* * * * *


(1) Wir haben uns in diesem Abschnitt dazu entschieden Angehörige der Polizei und ihrer Vorläufer nicht zu gendern. Dabei wollen wir darauf aufmerksam machen, dass diese sich selbst als “starke Männer” begriffen und mit einem zutiefst patriarchischen Gedankengut entstanden sind. Dieses Verständnis hat zu den Gewalttaten gegen verschiedene Minoritäten beigetragen. Nach Verständnis der Polizei und Eigenbezeichnung waren daran nur Männer beteiligt.