++ Strafurteil gegen Journalisten wegen Berichterstattung über Braunkohleproteste von Ende Gelände ++ Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union wirft Energiekonzern MIBRAG Geheimdienstmethoden vor ++

Der Leipziger Journalist Marco Bras dos Santos wurde am 2. Dezember wegen Hausfriedensbruchs verurteilt. Das Amtsgericht in Borna hielt ihn für schuldig, im November 2019 unbefugt das Betriebsgelände des Energiekonzerns Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (MIBRAG) betreten zu haben. Damals hatten mehr als 1.000 Aktivist*innen des Bündnisses Ende Gelände Braunkohlebagger im Tagebau Vereinigtes Schleenhain in der Nähe von Leipzig blockiert.

Leipzig, 02. Dezember 2022, Pressemitteilung

Bras dos Santos hatte für das Leipziger Stadtmagazin kreuzer über die Klimaproteste berichtet. Die MIBRAG, deren Eigentümer Daniel Křetínský ein ambivalentes Verhältnis zur Pressefreiheit nachgesagt wird, zeigte ihn daraufhin wegen Hausfriedensbruchs an. Das Gericht ließ die Anklage zu und fällte ein Strafurteil gegen den Journalisten.

Dazu der Journalist Marco Bras dos Santos:
„Eine demokratische Gesellschaft ist ohne Pressefreiheit nicht denkbar. Dass Medienschaffende von Energiekonzernen wie der MIBRAG mit Klagen überzogen werden können, zeugt von einem antidemokratischen Verständnis. Es ist der Sinn von Journalismus, im öffentlichen Interesse von wichtigen Ereignissen zu berichten. Genau das sind die Aktionen von Ende Gelände. Nicht umsonst hat der Journalist Tim Wagner für ein Foto von dieser Aktion den Preis des ‚Sächsischen Pressefoto des Jahres 2019‘ erhalten. Die Fachjuri bewies damit das Rückgrat, das von dem Amtsgericht in Borna nicht zu erwarten war. Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass die nächst höheren Gerichtsinstanzen in Sachsen zu einem anderen Urteil kommen würden. Den Kampf um die Pressefreiheit gilt es in Karlsruhe oder Straßburg zu führen.“

Nach der Aktion von Ende Gelände hatte die MIBRAG die regionalen Medien nach Presseberichten durchsucht und Strafanzeigen insbesondere gegen Journalist*innen erstattet, die Fotos von der Blockade des Tagebaus veröffentlicht hatten.

Jörg Reichel von der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) unterstreicht, dass die Anzeige durch die MIBRAG die Pressefreiheit ebenso bedroht wie das Urteil des Amtsgerichts:
„Die MIBRAG macht mit den Klagen gegen die Pressefreiheit deutlich, dass sie als Unternehmen noch nicht in der Demokratie angekommen ist. Sie stellt sich nicht dem demokratischen Dialog, indem Journalist*innen und auch parlamentarische Berichterstatter vor Gericht gezerrt werden. Es mutet befremdlich an, dass die MIBRAG nun zu Geheimdienstmethoden greift, Berichterstattung auswertet und Journalist*innen anzeigt.

Die Pressefreiheit gilt auch in den Revieren der MIBRAG. Der Tagebau ist ein Gebiet für Spaziergänger und Hundebesitzerinnen, das bis heute frei zugänglich für jeden Menschen ist. Nur für Journalist*innen soll das verboten sein? Es gibt keinen Hausfrieden im Tagebau, weil es ein öffentlich zugängliches Gelände ist. Die MIBRAG kann sich nicht dem gesellschaftlichen Dialog entziehen, indem sie die Berichterstatter*innen über die Umweltproteste kriminalisiert. Ein Ja zum demokratischen Dialog heißt auch, die Pressefreiheit dort hinzunehmen, wo sie den Finger in die Wunde legt.“

Die MIBRAG gehört dem tschechischen Milliardär Daniel Křetínský. Er ist im Energiesektor groß geworden. Immer wieder hat er mit dem Aufkauf von Medien in Tschechien, aber auch in Frankreich von sich reden gemacht. Mit seinem Agieren hat er vielfach die Kritik auf sich gezogen, Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen zu wollen, indem er die redaktionelle Unabhängigkeit und damit die Freiheit der Presse infrage stelle.

Dazu Jörg Reichel von der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju):
„Der mehrheitliche Eigentümer der MIBRAG, der tschechische Oligarch Daniel Křetínský, steht für Angriffe auf die Pressefreiheit in Europa. Křetínský hat im April 2022 massiv in die Pressefreiheit des französischen Magazins Marianne eingegriffen und zwang die Redaktion, die Schlagzeilen auf der Titelseite zu ändern. In der Erklärung der Redaktion wird Křetínský beschuldigt, gegen die Regeln der Medienfreiheit verstoßen zu haben. 2020 hat sich die Redaktion von ‚Le Monde‘ mit Händen und Füssen gegen die Einflussnahme von Křetínský gewehrt und ein Vetorecht für zukünftige Anteilskäufe erstritten.“

Sina Reisch, Pressesprecherin von Ende Gelände, ergänzt:
„Als Klimaaktivist*innen kennen wir das: Wenn Konzerne ihre Interessen durchsetzen wollen, nehmen sie es mit der Demokratie nicht so genau. Ob in Nordrhein-Westfalen oder in Sachsen, ob RWE oder MIBRAG und LEAG,  die beide zum fossilen Imperium von Křetínský gehören. Es ist ein Skandal, dass sich angeblich unabhängige Gerichte auf ihre Seite schlagen.“

Im Amtsgericht Borna läuft derzeit eine Reihe von Strafprozessen wegen der damaligen Braunkohleproteste des Aktionsbündnisses Ende Gelände. Die MIBRAG hatte insbesondere gegen öffentliche Personen Anzeige erstattet wie Journalist*innen und Landtagsabgeordnete. Vor dem Prozess gegen Bras dos Santos waren bereits zwei Strafurteile ergangen. Die beiden Verurteilten haben Rechtsmittel eingelegt, um die Rechtmäßigkeit vom Landgericht überprüfen zu lassen. Auch Marco Bras dos Santos will das Urteil nicht hinnehmen.

Die noch ausstehenden Strafprozesse am Amtsgericht Borna, Leipziger Straße 67a, finden an den folgenden Terminen statt:
Dienstag, 10.01.2023 um 10:30 Uhr
Pumuckl, Aktivist*in Ende Gelände


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