Newsletter Klima-Antirepression #19 – Oktober 2022
Hey, wir melden uns mal wieder mit einem neuen Klima-Antirepressions-Newsletter. Nach fast 10 Jahren Personalienverweigerung in der Klimagerechtigkeitsbewegung blicken wir zurück auf die Strategie und wollen anregen sie neu zu diskutieren. Schaut dafür in unseren Schwerpunkt. Außerdem gibt es wieder Prozesstermine und Menschen im Knast, die sich über eure Post freuen.
Inhalt
RHEINLAND
Block Neurath – Prozess am 21.10.
Lützerath räumungsbedroht – again
OSTEN
Lausitz: Drei Personen nach Kohlekraftwerksblockade in Untersuchungshaft
Berlin: Massenverfahren für letzte Generation
NORDEN
Hamburg: Rückblick auf Ende Gelände
Wolfsburg: Camp darf auf Baufläche von VW stattfinden
SÜDEN
München: Staatsanwaltschaft droht mit Haftstrafen für Autobahn-Blockaden
SCHWERPUNKT PERSONALIENVERWEIGERUNG
Woher kommt die Strategie?
Warum Personalienverweigerung?
Wie geht das?
Wie reagiert der Staat?
Was für Nebenwirkungen hat die Strategie noch?
Und wie weiter?
RHEINLAND
Block Neurath – Prozess am 21.10.
Der erste Strafprozesstermin der Aktivistis der Neurath-Blockade 2021 steht fest. Kommt gerne am 21.Oktober um 8.30 Uhr zum Amtsgericht Bergheim und begleitet den Prozess.
Im November 2021 haben Aktivistis anlässlich der Weltklimakonferenz COP 26 in Glasgow mit einer kleinen Aktionsgruppe die Kohleversorgung des Kraftwerks Neurath im Rheinischen Braunkohlerevier blockiert und RWE damit gezwungen, das Kraftwerk teilweise herunterzufahren. Die Aktion lief unter dem Namen „BlockNeurath“. Ein Pressespiegel findet ihr hier. Durch die Aktion hat das Kraftwerk über 8000 Tonnen CO2 weniger in die Luft geblasen und laut RWE ist ein Schaden von 1.4 Mio Euro entstanden! Juchu!
Die Aktivistis freuen sich, wenn ihr den Prozess besucht, Infoveranstaltungen organisiert oder Soli-Aktionen macht! We dont`t shut up – WeShutNeurathDown!
Die ausführliche Einladung: https://antirrr.nirgendwo.info/2022/10/04/block-neurath-prozess-am-21-10-2022/
Lützerath räumungsbedroht – again
Für Klimaaktivist:innen bedeutet der Herbst im Rheinland traditionell, dass eine neue Rodungssaison beginnt. Ab Oktober darf wieder abgeholzt werden für die Vergrößerung des Tagebaus! Das Dorf Lützerath an der Garzweiler Grube wurde in den letzten Jahren zum Kristallisationsort der Proteste und diesen Herbst wird es ernster denn je: Da der letzte Landwirt des Ortes nach einem verlorenen Gerichtsprozess doch noch an RWE verkauft hat und die Politik in einem dreckigen Deal mit RWE am 1.10. beschlossen hat, dass Lützerath abgebaggert werden soll, ist der ganze Ort mit allen Baumhäusern, Hütten, Zelten und besetzten Häusern räumungsbedroht — mal wieder, aber dringender denn je.
Tear down the Wall
Anfang August hatte der Großkonzern bereits mal wieder versucht, Fakten zu schaffen, indem die Grenzen des Tagebaus in Form eines Erdwalls schon mal vorzeitig auf Lützerath ausgedehnt werden sollten. Dieser Aufschüttung des Erdwalls stellten sich mehrere Menschen friedlich mit Sitzblockaden entgegen — und erhielten promt die Antwort der Staatsmacht: 7 Tage Gewahrsam oder Personalien angeben und Strafprozesse bekommen, u. a. mit dem Vorwurf Vermummung.
Wie kann ich unterstützen?
Am besten hinfahren. Es gibt vor Ort genug zu tun! Sei es Barrikaden bauen, Feuerholz besorgen, Essen kochen oder Pressearbeit; deine Fähigkeiten werden dringend gebraucht! Falls du dir das nicht vorstellen kannst, schau doch mal online nach Unterstützungsmöglichkeiten (z. B. Spenden sammeln, Plakatieren gehen oder Infoveranstaltung in deiner Stadt organisieren) auf https://luetzerathlebt.info . Dort gibt‘s auch alle Hinweise zur Anreise!
Da wir als AntiRRR alle Aktivist:innen unterstützen werden, die von Repressionen rund um die Räumung Lützeraths betroffen sind und sein werden, brauchen auch wir dringend Spendengelder für anfallende Kosten. (Spendenkonto auf unserer Homepage antirrr.nirgendwo.info)
Für die Hinfahrenden gilt: Passt aufeinander auf! Auch wenn die Mahnwache in Lützerath noch mindestens bis Ende Oktober bestehen wird und damit als relativ sicherer Ort zur Anreise dient, ist spätestens beim Beginn der Räumung mit Polizeikontrollen rund um den Ort zu rechnen.
Ruft den EA an (0641 2010 9954 7), wenn ihr in Polizeigewahrsam kommt, Stress mit den Cops habt oder Festnahmen beobachtet! Zieht euch vor Ort oder online eine persönliche anonyme ID-Nr., damit der EA den Überblick behalten kann, insbesondere, wenn ihr vor habt eure Personalien zu verweigern!
Und wann geht denn nun die Räumung los?
Dass können wir leider nie so genau wissen. Repressionen funktionieren viel über Unvorhersehbarkeit, und genau dieses Warten ist strategisch absichtlich auszehrend für die Menschen in Lützerath, die sich den Baggern entgegen stellen. Deshalb ist es umso wichtiger, nicht nur auf den Tag X zu warten, sondern auch jetzt schon zu unterstützen! Ansonsten erfährst du im Ernstfall über die Social Media Seiten, dass es los geht.
OSTEN
Lausitz: Drei Personen nach Kohlekraftwerksblockade in Untersuchungshaft
Die Aktionsgruppe “Unfreiwillige Feuerwehr” blockierte am Montag, den 19.9.22 das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde und demonstrierte damit gegen die Zerstörung der lokalen und globalen Lebensgrundlagen. Drei Personen sind seitdem befristet auf 2 Monate in Untersuchungshaft – Ava, Carlo und Ralph. Sie weigern sich bislang, ihre Personalien freizugeben. Bei der Haftprüfung wurden gegen drei weitere Personen – trotz Personalienangabe – die Auflage verhängt, sich täglich bei der Polizei an ihrem Wohnort zu melden. Als Grund dafür wurde von der Richterin die hohe Schadenssumme von 3,2 Millionen Euro genannt – zwei Blöcke des Kraftwerks mussten komplett abgeschaltet werden (yeah).
Durchbrecht die Isolation und schreibt Briefe! Lasst uns unsere Gefangenen nicht vergessen!
Hintergründe zur Blockade des Kraftwerkes, Briefe von den Gefangenen, Adressen zum Schreiben und Solifotos auf https://unfreiwilligefeuerwehr.blackblogs.org/
Berlin: Massenverfahren für letzte Generation
Die Aktiven der sogenannten „letzten Generation“ sind seit einigen Monaten gegen die Klimakrise unterwegs: Sie blockieren Straßen, auf denen sie sich oft auch ankleben und drehen Gashähne zu, um ein Lebensmittel-retten-Gesetz oder die Beendigung der fossilen Energieversorgung von den Regierenden zu fordern. Nach einer Aktion geht es oft gleich wieder auf die Straße. Personalien werden grundsätzlich angegeben, um zu den Taten zu stehen. Jetzt gibt es eine Welle von Strafverfahren (35 sind schon terminiert) und leider müssen sich Menschen jetzt auch mit den in vielen Polizeigesetzen in den letzten Jahren verschärften oder eingeführten Meldeauflagen und Aufenthaltsverboten herumärgern.
Ankündigungen von Terminen hier:
https://twitter.com/AufstandLastGen
NORDEN
Hamburg: Rückblick auf Ende Gelände
Ende Gelände blockierte mit der Sommeraktion 2022 den Hamburger Hafen – gezielt gegen den Ausbau von Gasinfrastruktur und koloniale Wirtschaftsstrukturen. Die Polizei ging mehrfach mit massiver Gewalt gegen die Demonstrant:innen vor. Unter anderem wurden Aktivist:innen durch den Einsatz von Wasserwerfern, Schlagstöcken, Reizgas und Schmerzgriffen sowie durch Schläge und Tritte verletzt – teilweise schwer.
Ende Gelände ergänzt im Newsletter dazu: „Aber auch im sonstigen Alltag erleben wir die Polizei als Teil eines Problems. Sie reproduziert eine von Diskriminierung durchzogene Gesellschaft und nutzt ihre Machtposition um sich selbst und die ausbeuterischen, rassistischen und diskriminierenden Strukturen zu manifestieren und zu verteidigen. Für uns als Bündnis ist deswegen klar, dass wir auch abseits unserer Aktionen Kritik an der Polizei ausdrücken müssen.“ Während dem System Change Camps wurden deshalb auch die tödlichen, rassistischen Morde der Polizei verurteilt.
Wer nach der Ende Gelände Aktion 2022 Post bekommt, kann sich melden bei:
legalcare22@riseup.net
Unterschreibt nichts ohne Rücksprache – GEMEINSAM SIND WIR STARK!
Weiterlesen: https://www.ende-gelaende.org/news/newsletter-08-22/#IH_2
Wolfsburg: Camp darf auf Baufläche von VW stattfinden
VW will eine riesige neue Autofabrik bauen : Das Trinity-Werk bei Wolfsburg. Auf der Baufläche befindet sich nun ein Camp. Über zwei Instanzen mussten die Aktivist:innen klagen, um eine Versammlung dort abhalten zu können, da die Gerichte wie auch die Regierungen in der Region eng mit VW verbandelt sind. Da der Bau jedoch erst 2023 beginnen soll, entschied das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg, dass die Versammlung auf der Fläche abgehalten werden darf.
Mehr dazu: https://stoptrinity.blackblogs.org/
SÜDEN
München: Staatsanwaltschaft droht mit Haftstrafen für Autobahn-Blockaden
Die Staatsanwaltschaft München II hat am Amtsgericht Fürstenfeldbruck eine Erhebung der Anklage gegen Aktivist:innen vorm Schöffengericht beantragt, die sich über einer Autobahn abgeseilt hatten. Schöffengerichte sind dann zuständig, wenn es um Haftstrafen zwischen zwei und vier Jahren geht. Für Nötigung gibt es allerdings auch ein maximales Strafmaß von drei Jahren. Dass Maximalstrafen verhängt werden, kommt nahezu nie vor. Die Staatsanwaltschaft will hier wohl vor allem ein Exempel statuieren und Nachahmer:innen abschrecken – auf juristisch sagt sie das selbst: Es geht um „generalpräventive Gründe“. Was am Ende dabei rauskommt, bleibt unklar, aber wir hoffen, dass die Drohung relativ hohl ist: An anderen Gerichten wurden Geldstrafen zu 40 Tagessätzen verhängt, eines verhängte sieben Monate Haft auf Bewährung, die Staatsanwaltschaft Gießen sieht überhaupt keine Grundlage für eine Strafverfolgung. An vielen Orten wurden vergleichbare Abseilaktionen schon ganz legal als Demonstrationen zugelassen. Es bleibt ein umstrittenes Thema. Die Drohung zeigt vor allem, dass die Autobahnblockaden einen wichtigen Nerv der kapitalistischen Gesellschaft treffen.
SCHWERPUNKT PERSONALIENVERWEIGERUNG
Woher kommt die Strategie?
Wir erinnern uns an die erste Diskussion über Personalienverweigerung auf dem Klimacamp im Rheinland 2013, welches gemeinsam mit dem Reclaim The Fields Treffen stattfand. So waren viele internationale Aktivist:innen vor Ort, welche die Diskussion um Personalienverweigerung mitbrachten. Nach einigen Debatten gingen viele erfolgreich ohne Personalien in eine Schienenblockade – RWE brachte sie sogar mit Bussen ins Camp zurück. Die Personalienverweigerung wurde von den Aktivist*innen auch als Akt der internationalen Solidarität gesehen, da es der Polizei nunmehr kaum noch möglich war, die Personen ohne deutsche/EU-Staatsbürger*innenschaft auszusieben – und härter zu bestrafen. In den darauf folgenden Jahren wurde Personalienverweigerung zunächst im Hambacher Forst und dann bei vielen Massenaktionen der Klimagerechtigkeitsbewegung zur Normalität. Sie entpuppte sich als erfolgreiche Strategie gegen Unterlassungserklärungen [Mit Unterlassunsgerklärungen haben wir uns in unserem ersten Newsletter (PDF) beschäftigt]. Gerade bei Ende Gelände-Aktionen identifizierte die Polizei nur wenige der Beteiligten und hatte auch keine Gesa (Gefangenensammelstelle)-Plätze für mehrere Hundert Aktivist*innen, was zu einer immer größeren Verbreitung der Personalienverweigerung als wirksames Mittel gegen Repressionen führte. Die Strategie entwickelte sich weiter: Am Anfang wurden oft nur die Personalien verweigert, mittlerweile sind viele Aktivist*innen gut vorbereitet und haben sich vermummt, ihr Gesicht unkenntlich gemacht und ihre Finger präpariert um das Nehmen von Fingerabdrücken zu verunmöglichen.
Warum Personalienverweigerung?
Durch (erfolgreiche) Personalienverweigerung können staatliche Repressionen oft vermieden werden – ohne erkannte Identität keine Straf- oder Zivilverfahren, und damit keine Strafen im Nachhinein. Falls die Identität später noch enthüllt wird, treten die Folgen immerhin mit zeitlicher Verzögerung ein. Die solidarische Wirkung in Bezug auf Menschen die keinen deutschen Pass besitzen, einen unsicheren Aufenthaltssatus haben, deren eingetragenes Geschlecht nicht zu dem von den Cops erwarteten passt, oder auf andere Art besonders diskriminiert werden, wurde oben bereits erwähnt. Bei großen Aktionen bietet ihnen die Masse den Schutz, um trotzdem Teil sein zu können. Zudem überfordert eine große Anzahl Aktivist:innen ohne Identitätsangabe oft das Bearbeitungsssystem von Polizei und Justiz, was ein weiterer Vorteil ist.
Wie geht das?
Es beginnt damit, keine Aussagen zu machen und nichts zu unterschreiben. Das gilt sowieso immer, erstreckt sich aber nun auch auf Name, Geburtstdatum und Adresse. Damit diese Daten der Polizei nicht anders bekannt werden, ist es wichtig, nichts bei sich zu tragen, was darauf hinweist: Also bleiben Personalausweis, EC-Karte, Krankenkassenkarte, Studi- oder Schüler:innenausweis, der Organspendeausweis usw. zuhause. Gleiches gilt für technische Geräte, die auf euren Namen registriert sind, wie Handys oder Laptops.
Darüber hinaus benutzen manche Aktivist*innen weitere Techniken, um im Gewahrsam und auch im Nachhinein eine Identifizierung zu vereiteln: Sie schminken sich und ziehen bei polizeilichen Fotos Grimassen, um biometrische Gesichtserkennung zu erschweren. Außerdem präparieren viele ihre Fingerkuppen, z.B. mit Sekundenkleber und Glitzer, oder über das Anritzen der obersten Hautsicht mit Rasierklingen oder Nadeln. Tattoos, Narben, Muttermale und ähnliches können verdeckt oder übermalt werden. Vor und nach der Aktion ist außerdem wichtig, nicht unverschlüsselt oder sogar auf Sozialen Medien über die Aktion zu kommunizieren.
Andere Menschen in der Bewegung entscheiden sich gegen das Präparieren, da es teilweise schwierig anzuwenden oder emotional anstrengend ist. Die Techniken können leicht erlernt werden, und das Wissen darüber ist bei vielen Menschen in der Bewegung vorhanden.
Wie reagiert der Staat?
Da wir durch ID-Verweigerung die Strafververfolgung des Staates behindern, gibt es darauf natürlich auch eine Reaktion. Nicht- oder Falschangabe der Personalien bei der Polizei ist eigentlich nur eine Ordnungswidrigkeit, es folgt in seltenen Fällen eine geringe Geldbuße (nach der Identifizierung). In manchen Versammlungsgesetzen, wie z.B. in NRW, wird allerdings das Tragen von Gegenständen, die der Identitätsverschleierung dienen können (z.B. Schlauchschals), als Straftat gewertet.
Viel relevanter für uns sind jedoch meist die strafprozessualen und polizeirechtlichen Folgen – also dass, was die Polizei mit uns macht, um ihre Vorhaben und die Durchführung eines Strafprozesses zu sichern. In der Praxis heißt dies, dass sie uns durch Zwang zur Preisgabe unserer Idenität bringen wollen.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden wir bei Verweigerung unserer Personalien in Gewahrsam genommen – bei Vorwurf einer Straftat (also fast immer) bis höchstens 24 Uhr des Folgetags. Im Gewahrsam wird meist eine erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt, es werden also Fotos, Körpermaße und Fingerabdrücke erfasst. Wenn eine Straftat vorgeworfen wird, ist es zudem möglich, dass von einer:m Richter:in Untersuchungshaft verhängt wird, wenn die Personalien nicht bekannt werden. Das kann dann auch länger dauern – bis zu einem Prozess über die Straftat. Bei schwereren Straftaten oder in einigen Regionen wie Brandenburg oder Bayern ist das wahrscheinlicher. Wegen leichteren Straftaten wie Hausfriedensbruch gab es in NRW noch keine Untersuchungshaftfälle.
Bei minder schweren Fällen ist in NRW mittlerweile das 7-Tage-Gewahrsam als Ersatzbestrafung möglich (in anderen Bundesländern abweichende Regelungen mit unterschiedlicher Dauer) – und wird inzwischen oft angewandt. Leider macht die Polizei auch bei der nachträglichen Identifizierung Fortschritte: So sind mittlerweile Gesichtserkennungen auch bei Übersichtsaufnahmen, z.B. auf Demos, möglich. Zum Repertoire gehören außerdem öfter Anfragen bei allen regionalen Polizeistationen im Bundesgebiet (also auch an eurem potentiellen Wohnort) und seltener Öffentlichkeitsfahndungen über Zeitungen.
Was für Nebenwirkungen hat die Strategie noch?
Über die direkten Folgen hinaus gibt es außerdem weniger offensichtliche Auswirkungen, die zu Bedenken sind: Bei erfolgreicher ID-Verweigerung ist es aus offensichtlichen Gründen nicht möglich, im Nachhinein Klage wegen Polizeigewalt oder anderen Rechtsverletzungen zu erheben. Je nach Willkür des Gerichts ist es auch schon vorgekommen, dass sich ID-Verweigerung strafmaßverschärfend ausgewirkt hat. Eine Garantie für eine erfolgreiche Verweigerung gibt es natürlich nicht, und wenn deine Identität bereits einmal enthüllt wurde, wird es in Zukunft schwieriger. Auch die Erfahrung, 7 Tage in Polizeigewahrsam, also an einem komplett fremdbestimmten Ort eingesperrt, zu verbingen, sollte in ihren (auch langfristigen) psychischen Auswirkungen nicht unterschätzt werden. Menschen kommen mit dieser Situation sehr unterschiedlich gut oder schlecht klar.
Ebenfalls gravierend sind die Auswirkungen auf die gesamte Bewegung als Kollektiv: Wir sammeln weniger Erfahrung mit Gerichtsprozessen, sodass diese und ihre Folgen noch abschreckender wirken – auch wenn weniger Gerichtsprozesse natürlich erst mal gut sind. Zudem ist Solidarität mit Betroffenen von Prozessen schwierig, wenn andere Teilnehmer:innen der Aktion fürchten müssen, an Eingangskontrollen oder Kundgebungen vor Gerichten erkannt zu werden.
Viele Aktivist:innen haben bei erfolgreicher (mehrfacher) ID-Verweigerung außerdem Sorge davor, bei kommenden Aktionen erkannt zu werden, sodass nachträglich doch noch Strafverfahren eingeleitet werden und „alles umsonst war“. Auf diese Art und Weise wirkt die Repression am langen Ende dann doch noch abschreckend und kann langfristiges aktiv Bleiben verhindern.
Und nicht zuletzt stellt die Praxis auch unsere Solidaritäts-strukturen vor besondere Herausforderungen: Mahnwachen vor Gewahrsamsstellen müssen 7 Tage lang besetzt, sowie Betroffene von Untersuchungshaft über Monate hinweg unterstützt werden. Neben den psychischen Folgen für die Betroffenen selbst ist dies eine große Arbeitsbelastung für die Bewegung (auch wenn einige Prozesse wegfallen).
Und wie weiter?
In der letzten Zeit hatten wir persönlich den Eindruck, dass sich ID-Verweigerung in manchen Bewegungsteilen als unhinterfragter Standard durchsetzt. Ob Personalien verweigert oder angegeben werden, bleibt aber eine persönliche Entscheidung, zu der niemensch gedrängt werden sollte. Am besten sprechen sich Menschen mit ihrer Bezugsgruppe ab, um weiterhin als Gruppe agieren zu können und sich gegenseitig zu unterstützen – sei es beim Gesa- oder Knast-Support oder bei Prozessen. Natürlich gilt: Wir bleiben solidarisch mit allen Aktionsformen! Ob flauschig oder militant, wichtig bleibt der Widerstand 😉
Ob Personalienverweigerung weiterhin als politische Praxis gegen Repressionen taugt, können wir in so einem Newsletter natürlich nicht abschließend klären. Wir finden allerdings, dass es eine bewusst getroffene Entscheidung sein sollte. Hoffentlich konnten wir mit diesem Newsletter zu einer breiteren Debatte in der Klimagerechtigkeitsbewegung beitragen. Wir freuen uns dazu auch über Anregungen und neue Strategien von euch.
Solidarische Grüße,
eure AntiRRR
https://antirrr.nirgendwo.info/