#NotMyEnergiewende – Folge 3: Was hat südamerikanisches Lithium mit der Energiewende zu tun?

Elektromobilität soll eine der zentralen Säulen der deutschen Energiewende werden, obwohl der Abbau von Lithium die Lebensgrundlage indigener Gemeinschaften in Südamerika zerstört. Statt sich ihrer globalen Verantwortung zu stellen, sichern sich deutsche Industrieunternehmen fleißig Abbaurechte. Diese Rohstoffausbeutung führt weder zu langfristigem gesellschaftlichen Wohlstand, noch ist sie umweltverträglich. Die Bundesregierung unterstützt diese ausbeuterische Praxis durch Freihandelsabkommen und Exportinitiativen und zementiert damit eine neoliberale kapitalistische Weltordnung. Wir brauchen einen echten system change!

E-Mobilität treibt die globale Lithiumnachfrage an

Viele Industrienationen wollen ihren Verkehr langfristig auf CO2-arme Mobilität umstellen. So auch Deutschland, wo der Elektromobilität nahezu alternativlos die tragende Rolle der Mobilitätswende zugeschrieben wird und die E-Mobilität kräftig gefördert wird. Bis 2022 werden nach einer Prognose der Nationalen Plattform Elektromobilität 1 Millon E-Autos auf Deutschlands Straßen fahren; das erklärte Ziel der Bundesregierung sind 7-10 Millionen E-Autos bis 2030. Zur Einordnung: Weltweit waren 2019 nur ca. 8 Millionen E-Autos zugelassen [1,2,3]. Als Stromspeicher spielen E-Autos außerdem in der Strategie der Bundesregierung eine wichtige Rolle auf dem Weg zur Klimaneutralität, da sie die fluktuierende Stromerzeugung aus Wind und Sonne ausgleichen können. E-Autos, wie auch viele andere elektrische Geräte, funktionieren nur mit Batterien, deren Hauptbestandteil Lithium ist. Dementsprechend ist die globale Lithiumnachfrage im letzten Jahrzehnt um mehr als 300 Prozent gestiegen und wird, allen Prognosen zufolge, auch in den nächsten Jahrzehnten weiter massiv ansteigen [4,5]. Die Marktsignale einer global-kapitalistischen Logik führen also bereits heute zu einem deutlich verstärkten Abbau von Lithium sowie zur Sicherung von Abbaurechten. Ein Trend, der sich in Zukunft fortsetzen wird.

Der Abbau von Lithium zerstört die Lebensgrundlage lokaler Gemeinschaften

Wo liegt also das wertvolle Lithium, auf das sich global agierende Konzerne wie hungrige Hyänen stürzen? Im Dreiländereck Bolivien, Chile, Argentinien, der sogenannten Atacama-Wüste, sollen ca. 70 Prozent der weltweiten Lithium-Vorkommen lagern [6,7,11]. In diesem „Lithiumdreieck“ wird zur Gewinnung des Rohstoffes lithiumhaltiges Salzwasser an die Oberfläche gebracht und dort in einem mehrstufigen Prozess verdunstet, bis das Lithium für den Einsatz in Batterien geeignet ist. Das erfordert eine enorme Menge Grundwasser – laut Bergbau-Kommission der chilenischen Regierung wurde der Atacama-Wüste zwischen 2000 und 2015 viermal so viel Wasser entzogen, wie auf natürliche Weise in Form von Regen- oder Schmelzwasser in das Gebiet gelang. Dieser Wasserentzug zerstört das lokale Ökosystem und dadurch die Lebensgrundlage der lokalen Gemeinschaften. So zum Beispiel den 100.000 dort lebenden indigenen Collas, die bereits gegen den Lithiumabbau vor Ort klagen. Gemäß der ILO-Konvention 169 müssen indigene Gemeinschaften bei derartigen Projekten zustimmen, auch wenn keine formellen Eigentumsrechte bestehen [14]. Trotzdem stehen die Chancen eines solchen Prozesses schlecht, während der Lithiumabbau weiter voranschreitet. Das alles, obwohl es bereits weniger wasserintensive und umweltfreundlichere Gewinnungsverfahren gäbe, die allerdings nicht eingesetzt werden [6,7,8].

Welche Rollen spielen deutsche Unternehmen und die Bundesregierung dabei?

In einer gerechten Welt sollten doch eigentlich die Unternehmen selbst dafür sorgen, dass sie mit ihren Geschäften nicht die Lebensgrundlage von Menschen zerstören. Und wenn es den Unternehmen egal ist, dann wird doch wohl zumindest die Bundesregierung sie mit einem Gesetz dazu verpflichten – z.b. mit einem Lieferkettengesetz. Was sagen die Politiker:innen also dazu? Wenn Peter Altmaier gerade nicht vollmundige Klimaschutz-Versprechen macht, ist er hauptsächlich damit beschäftigt, die Umsetzung eines effektiven Lieferkettengesetzes zu blockieren und gleichzeitig „die internationale Spitzenposition der deutschen Automobilindustrie auch bei Elektromobilität zu behaupten – zum Wohle des Industrie- und Beschäftigungsstandorts Deutschland“ [1,9]. Volkswagen „sammelt derzeit Fakten, um sich mit Unterstützung von unabhängigen Fachleuten ein eigenes Bild von der Wasserversorgung in der Atacama-Wüste in Chile zu machen“ [12]. BMW bezieht sein Lithium vom kanadischen Konzern Lithium Americas, die ihr Lithium in der Atacama-Region abbauen [7]. Währenddessen kooperiert das baden-württembergische Unternehmen ACISA mit dem bolivianischen Staatskonzern, um sich den Zugriff auf das „weiße Gold“ im Lithiumdreieck zu sichern – unabhängig von der Kritik, die es am Abbau gibt [10].

Rohstoffausbeutung führt nicht zu langfristigem gesellschaftlichen Wohlstand

Was hat also Lithiumabbau in Südamerika mit der Energiewende zu tun? Lithium soll eine Energiewende ermöglichen, die zusammen mit deutschen Industrieunternehmen den Wohlstand der Exportnation Deutschland sichert. Vereinfacht gesagt, den deutschen Exportkapitalismus grün anstreichen. Die Menschen, denen die Existenzgrundlage durch diesen grünen Anstrich entzogen wird, werden aber nicht gefragt, ob der Lithiumabbau wirklich in ihrem Interesse ist. Stattdessen ist die wirtschaftliche Struktur vieler ressourcenreicher Länder des globalen Südens auf die Ausbeutung von Rohstoffen für den Export ausgerichtet. In diesen Ländern entsteht dadurch aber weder langfristiger gesellschaftlicher Wohlstand noch produktive Wirtschaftszweige. Die kurzfristig entstehenden Arbeitsplätze verschwinden wieder, sobald die Ressource ausgebeutet ist und die Konzerne abziehen. Die wirkliche Wertschöpfung findet dann bei den Industrieunternehmen statt, die den Profit machen. Zurück bleiben Armut, eine zerstörte Umwelt, Repression und Konflikte.

Neokoloniale Ausbeutung wird durch die Rohstoffpolitik der Bundesregierung ermöglicht

Und warum bezeichnen wir das als neokolonial? Historisch gesehen ist die gewaltsame Aneignung natürlicher Ressourcen durch Kolonialisierung eine der zentralen Grundlagen des deutschen und europäischen Wohlstandes. Heutzutage wird diese Aneignung seltener über militärische Intervention umgesetzt – das wäre ja unmenschlich – sondern über den Einfluss, den Konzerne und Lobbyverbände auf Regierungen ausüben. Freihandelsabkommen und Exportinitiativen der Bundesregierung ermöglichen den freien Zugriff auf Rohstoffe durch Unternehmen. Unter dem Deckmantel von Arbeitsplätzen und wirtschaftlichen Aufschwung wird dabei ein fremdbestimmtes Paradigma, nämlich das einer neoliberalen kapitalistischen Entwicklung, vorangetrieben. An den globalen Machtstrukturen, die sich in den letzten Jahrhunderten herausgebildet haben, ändert das aber rein gar nichts. Mensch stelle sich mal vor, das Lithium läge in Bayern und würde dort auf diese Weise abgebaut werden. Aber hier ist das ja etwas Anderes, denn wir sind ja schon „entwickelt“.

System change statt climate change!

Manchmal ist weniger eben doch mehr. Weniger Autos, weniger Rohstoffverbrauch. Dass das aktuelle Level von Individualverkehr umwelt- und menschenrechtsverträglich aufrechterhalten werden kann, ist enorm unwahrscheinlich. Statt einer Antriebswende braucht es eine echte Mobilitätswende, weg vom Individualverkehr, hin zu mehr öffentlichen Verkehrsmitteln und Fahrradinfrastruktur. Übrigens – ein E-Auto ist aus Klimasicht nur besser, wenn der dafür verwendete Strom auch erneuerbar ist. Wenn also die 10 Millionen E-Autos bis 2038 mit Kohlestrom fahren, bringt das in Sachen CO2-Einsparung auch nichts. Für wirklich notwendige Energiespeicher gibt es noch andere Möglichkeiten, beispielsweise eine lokale Gewinnung von Lithium aus Geothermieanlagen [13] oder alternative Speichertechnologien. Gleichzeitig müssen die Potentiale von Recycling und Kreislaufwirtschaft maximal ausgeschöpft werden. Umwelt- und Menschenrechtsstandards müssen über die gesamte Wertschöpfungskette der Produktion durchgesetzt werden, und zwar nicht über irgendwelche fadenscheinigen freiwilligen Selbstverpflichtungen, sondern per Gesetz. Vor allem müssen wirtschaftliche Ausbeutung und globale Machthierarchien abgebaut werden, die einen kapitalistischen Fortschrittsbegriff über Freihandelsabkommen einbetonieren. Stattdessen brauchen wir echte globale Solidarität, mit anderen Worten: Einen echten system change. Und wenn dabei das ein oder andere Unternehmen vergesellschaftet wird, wäre das ja auch nicht so schlimm.

Kontakt: stopsteinco2le@riseup.net

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Zum Weiterlesen/-hören:

Quellen:

[1] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/elektromobilitaet.html

[2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/verkehr-1672896

[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/168350/umfrage/bestandsentwicklung-von-elektrofahrzeugen/

[4] https://www.isi.fraunhofer.de/content/dam/isi/dokumente/cct/lib/GRM-LIB.pdf

[5] https://www.agora-verkehrswende.de/fileadmin/Projekte/2017/Nachhaltige_Rohstoffversorgung_Elektromobilitaet/Agora_Verkehrswende_Synthesenpapier_WEB.pdf

[6] https://www.dw.com/de/zunehmender-lithium-abbau-verst%C3%A4rkt-wassermangel-in-chiles-atacama-w%C3%BCste/a-52039450

[7] https://www.deutschlandfunk.de/lithium-abbau-in-suedamerika-kehrseite-der-energiewende.724.de.html?dram:article_id=447604#:~:text=Im%20Dreil%C3%A4ndereck%20Bolivien%2C%20Chile%2C%20Argentinien,die%20Lebensgrundlage%20der%20indigenen%20Bev%C3%B6lkerung

[8] https://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=NORMLEXPUB:12100:0::NO::P12100_ILO_CODE:C169

[9] https://lieferkettengesetz.de/

[10] https://www.manager-magazin.de/unternehmen/industrie/elektroauto-acisa-will-lithium-fuer-bis-zu-1-millionen-e-autos-jaehrlich-liefern-a-1243380.html

[11] https://www.bgr.bund.de/DE/Themen/Min_rohstoffe/Downloads/rohstoffsteckbrief_li.html

[12] https://www.volkswagenag.com/de/news/stories/2020/03/lithium-mining-what-you-should-know-about-the-contentious-issue.html#

[13] https://www.heise.de/hintergrund/Wertvoller-Rohstoff-als-Nebenprodukt-Heimisches-Lithium-aus-Geothermieanlagen-4920157.html

[14] https://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=NORMLEXPUB:12100:0::NO::P12100_ILO_CODE:C169


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